derts aufkommende „zweite Stil" noch weit mehr
aus byzantinischen Vorbildern übernehmen. Aller-
dings tut er das mit der deutlichen und damit so-
zusagen protogotischen Absicht, auch die Körper-
lichkeit der Figuren stärker herauszustellen. In
diesen Stil konnten dann auch schon um 1310 Neu-
erungen des von Giotto und Cimabue geprägten
neuen mittelitalienischen Stils aufgenommen wer-
den, der nicht nur eine natürlichere Gestaltung von
Figur und Gewand brachte, sondern auch eine Vor-
stellung des Raumes, in dem sich die Figuren bewe-
gen. Bekanntlich war in diesem Punkt die toska-
nisch-umbrische Wand- und Tafelmalerei der
Schrittmacher für ganz Europa. Auch die Pariser
Buchmalerei orientierte sich seit etwa 1320 in der
Frage der Raumdarstellungen an italienischen Vor-
bildern.
Obwohl in Italien traditionell die Wandmalerei
wichtiger war als die Buchmalerei, spielte das Buch
selbst eine entscheidende Rolle im Humanismus,
der nun kommenden Phase kultureller Neuorien-
tierung. Insbesondere Francesco Petrarca, der von
1367 bis zu seinem Tod 1374 in Padua lebte und
dort von der Herrscherfamilie Carrara unterstützt
wurde, suchte nach den Büchern antiker Schrift-
steller, um sie von Überlieferungsfehlern zu rei-
nigen und als Vorbilder für Politik, Moral und Lite-
ratur der Gegenwart zugänglich zu machen.
Möglicherweise als sein Hauptwerk sali er „De vi-
ris illustribus" an, eine nach dem Vorbild von Livius
geschaffene Sammlung von Lebensbeschreibungen
vorbildlicher Gestalten der römischen Geschichte.
„De viris illustribus" ist ein Buch, doch wurde es
paradoxerweise noch vor seiner Vollendung zur
Vorlage von Wandmalereien. Im Regierungssitz der
Carrara in Padua malte der herausragende Verone-
ser Maler Altichiero die Gestalten und die Taten
der antiken Helden an die Wände der Sala virorum
illustrium. Dabei dienten ihm eine Kurzfassung
von Petrarcas Buch und Hinweise von dessen Se-
kretär Lombardo della Seta als Anleitung. Lombar-
do selbst war in dieser Zeit damit beschäftigt, das
von Petrarca bei seinem Tod unvollendet zurückge-
lassene Werk überhaupt erst zu vollenden. Als er es
schließlich 1379 in einem eigenhändig geschriebe-
nen Codex an Francesco da Carrara überreichte
(Paris, BnF, lat. 6069 F), waren darin ein Kopfport-
rät Petrarcas und der „Triumph des Ruhmes" von
der Hand Altichieros enthalten.
Die in Darmstadt liegende Paduaner Hand-
schrift von „De viris illustribus", Hs 101, kopiert
allerdings nicht dieses Dedikationsexemplar, son-
Petrarca in seinem Studiolo in der italienischen Fas-
sung von „ De viris illustribus". Padua, nach 1397.
Hs101, fol. Iv (34,1 x 23 cm).
dern ist der beste Zeuge für die weitgehend durch
Brand zerstörten Paduaner Fresken. Das Bild von
Petrarca in seinem Studiolo (Abb. 71) am Beginn
der Handschrift ist fast identisch mit einem Fres-
kenrest in Padua. Obwohl es also nach einer Wand-
malerei kopiert wurde, bildet es geradezu einen Tri-
umph des Buches und der Buchkunst. Nicht allein,
dass sich überall in dem Studierzimmer Bücher ver-
teilen: in den Schränken, auf der Truhe und dem
runden Lesetisch und selbstverständlich vor dem
schreibenden Petrarca, auch die Bildformel des
123 4. Der neue Kosmos
der gotischen
Buchmalerei
aus byzantinischen Vorbildern übernehmen. Aller-
dings tut er das mit der deutlichen und damit so-
zusagen protogotischen Absicht, auch die Körper-
lichkeit der Figuren stärker herauszustellen. In
diesen Stil konnten dann auch schon um 1310 Neu-
erungen des von Giotto und Cimabue geprägten
neuen mittelitalienischen Stils aufgenommen wer-
den, der nicht nur eine natürlichere Gestaltung von
Figur und Gewand brachte, sondern auch eine Vor-
stellung des Raumes, in dem sich die Figuren bewe-
gen. Bekanntlich war in diesem Punkt die toska-
nisch-umbrische Wand- und Tafelmalerei der
Schrittmacher für ganz Europa. Auch die Pariser
Buchmalerei orientierte sich seit etwa 1320 in der
Frage der Raumdarstellungen an italienischen Vor-
bildern.
Obwohl in Italien traditionell die Wandmalerei
wichtiger war als die Buchmalerei, spielte das Buch
selbst eine entscheidende Rolle im Humanismus,
der nun kommenden Phase kultureller Neuorien-
tierung. Insbesondere Francesco Petrarca, der von
1367 bis zu seinem Tod 1374 in Padua lebte und
dort von der Herrscherfamilie Carrara unterstützt
wurde, suchte nach den Büchern antiker Schrift-
steller, um sie von Überlieferungsfehlern zu rei-
nigen und als Vorbilder für Politik, Moral und Lite-
ratur der Gegenwart zugänglich zu machen.
Möglicherweise als sein Hauptwerk sali er „De vi-
ris illustribus" an, eine nach dem Vorbild von Livius
geschaffene Sammlung von Lebensbeschreibungen
vorbildlicher Gestalten der römischen Geschichte.
„De viris illustribus" ist ein Buch, doch wurde es
paradoxerweise noch vor seiner Vollendung zur
Vorlage von Wandmalereien. Im Regierungssitz der
Carrara in Padua malte der herausragende Verone-
ser Maler Altichiero die Gestalten und die Taten
der antiken Helden an die Wände der Sala virorum
illustrium. Dabei dienten ihm eine Kurzfassung
von Petrarcas Buch und Hinweise von dessen Se-
kretär Lombardo della Seta als Anleitung. Lombar-
do selbst war in dieser Zeit damit beschäftigt, das
von Petrarca bei seinem Tod unvollendet zurückge-
lassene Werk überhaupt erst zu vollenden. Als er es
schließlich 1379 in einem eigenhändig geschriebe-
nen Codex an Francesco da Carrara überreichte
(Paris, BnF, lat. 6069 F), waren darin ein Kopfport-
rät Petrarcas und der „Triumph des Ruhmes" von
der Hand Altichieros enthalten.
Die in Darmstadt liegende Paduaner Hand-
schrift von „De viris illustribus", Hs 101, kopiert
allerdings nicht dieses Dedikationsexemplar, son-
Petrarca in seinem Studiolo in der italienischen Fas-
sung von „ De viris illustribus". Padua, nach 1397.
Hs101, fol. Iv (34,1 x 23 cm).
dern ist der beste Zeuge für die weitgehend durch
Brand zerstörten Paduaner Fresken. Das Bild von
Petrarca in seinem Studiolo (Abb. 71) am Beginn
der Handschrift ist fast identisch mit einem Fres-
kenrest in Padua. Obwohl es also nach einer Wand-
malerei kopiert wurde, bildet es geradezu einen Tri-
umph des Buches und der Buchkunst. Nicht allein,
dass sich überall in dem Studierzimmer Bücher ver-
teilen: in den Schränken, auf der Truhe und dem
runden Lesetisch und selbstverständlich vor dem
schreibenden Petrarca, auch die Bildformel des
123 4. Der neue Kosmos
der gotischen
Buchmalerei