Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kritische Berichte zur kunstgeschichtlichen Literatur — 6.1937

DOI Artikel:
Münz, Ludwig: [Rezension von: Arthur von Schneider, Caravaggio und die Niederländer]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.73285#0066
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ARTHUR VON SCHNEIDER, Caravaggio und die Niederlän-
der. Verlag des Kunstgeschichtlichen Seminars Marburg a. d. Lahn.
Es ist noch nicht allzulange her, im Grunde erst seit Longhis und Pevsners
Aufsätzen, daß man sich allmählich der eigentlichen künstlerischen Bedeu-
tung Michelangelo da Caravaggios bewußt zu werden begann. Die bald
nach seinem Tode in Italien wie in ganz Europa zur Herrschaft gelangte
offizielle klassizistische Kunsttheorie des Barock hat das Ihre dazu beige-
tragen, daß man bis in die jüngste Zeit noch — so stark man von der Wirkung
der Werke Caravaggios gepackt war, so sehr man erkennen mußte, daß
mit ihnen eine schicksalshafte Wende in der europäischen Kunst verbunden
ist — diese Werke immer wieder vor allem als Ausdruck und (verhängnisvol-
len) Ausgangspunkt eines äußerlichen Naturalismus gewertet hat, der rück-
sichtslos auf Schönheit und Dekorum verzichtet und an deren Stelle häß-
liche Alltagswirklichkeit zum Kunstinhalt erhebt. Daß mit dieser Gestaltung
einer äußeren Realität eine neue und besondere „innere" Wirklichkeit des Den-
kens und Fühlens lebendig geworden ist, ihren Ausdruck gefunden hat,
wurde, wenn man es nicht überhaupt leugnete, in der soeben angedeuteten
Weise als Einbruch eines rücksichtslosen Realismus, dem jede innere Bin-
dung in einem höheren Sinn fehlt, hingestellt. Die Pathosgewalt, die Fähig-
keit, Pathos zu gestalten, schien dem Betrachter von Caravaggios Werken
entweder nicht vorhanden oder doch (im Zusammenhang der europäischen
Malerei) wesentlich vermindert. Hier setzte nun vor allem die italienische For-
schung ein, die, indem sie den Entwicklungsgang Caravaggios, seinen Schul-
zusammenhang, verfolgte, auf dem Umweg über die Feststellung seiner Leh-
rer die pathetischen Stilfaktoren seiner Kunst in Verbindung mit seiner Ab-
hängigkeit von der venezianischen und lombardischen Malerei zu erkennen
begann. Allein auch heute ist die Forschung noch weit davon entfernt, zu
einem abschließenden, der heutigen Kenntnis entsprechenden Bild der künst-
lerischen Bedeutung der Werke Caravaggios gelangt zu sein. Ist auch er-
kannt, daß das Pathos aus diesen Werken nicht verbannt ist, ja daß es durch
die Linearkomposition, durch starke Hell- und Dunkelkontraste vor allem,
eine besondere, wichtige Funktion innerhalb eines jeden seiner Werke hat, so
fehlen doch auch heute noch eingehende Untersuchungen, in denen das
eigentliche, entscheidende Problem der Kunst Caravaggios bewußt zum
Gegenstand des Suchens nach Erkenntnis des Sinnes von Caravaggios Kunst
gemacht wird: die Verbindung von Darstellungs- und Pathosfunktion in
seinem Werke. Die Wirklichkeitsfunktion erscheint zunächst so vor-
wiegend betont, daß man darüber fast ganz die Päthosfunktion vergessen
konnte, und zwar so weit, daß es eines großen Umweges bedurfte, damit
man ihrer wieder inne wurde. Auch die Berufung auf die „giorgionesken"
klassischen Grundlagen der Kunst Caravaggios führt, wenn in ihr ein
Ziel, nicht ein Antrieb zu weiterem Suchen nach dem „echten" Weg des
Verstehens liegt, in die Irre, da in der Kunst Giorgiones zwar auch eine

60
 
Annotationen