WERTPROBLEME UND MITTELALTERLICHE KUNST.
Eine Diskussionsbemerkung*).
Alle, die noch an eine Entwicklungsmöglichkeit der Kunstgeschichte glau-
ben, müssen Garger dankbar sein, daß er mit aller Schärfe ein Problem zur
Diskussion gestellt hat, das zu umgehen lange als wissenschaftlich galt. Diese
Diskussion in Fluß zu halten, Fragen aufzuwerfen, nicht Lösungen zu bieten,
ist der Zweck dieser Zeilen.
Gargers Fragestellung ist eine ästhetische — man sollte das verpönte Wort
wieder aussprechen lernen — er fragt nach den Wertungsmöglichkeiten inner-
halb eines historischen Stilganzen. Eine solche allgemeine Fragestellung ver-
langt nach allgemeinen Sätzen als Diskussionsgrundlage. Um die Formulierung
solcher „Rahmenantworten" sind die folgenden Zeilen bemüht. Sie wollen also
nicht als „Polemik" gegen Gargers anschauungsgesättigte Arbeit gewertet
sein, sondern nur als ein Versuch, die gleichen Probleme von einer Distanz zu
überblicken, von der zwar die Einzelheiten verschwimmen, aber die Gesamt-
lage sich vielleicht stellenweise deutlicher abzeichnet.
Gargers Begriff der „Leistung" vereinfacht, wie es scheint, das Bild.
Er fragt im einzelnen: Was ist gewollt und was ist erreicht? — Aber so merk-
würdig das klingen mag, ist in dieser einfachen Frage schon einiges voraus-
gesetzt, das erst untersucht werden sollte. Die Unterscheidung von Wollen
und Können im künstlerischen Prozeß supponiert streng genommen eine An-
schauung vom Wesen des künstlerischen Schaffens, die man ganz schematisch
als die platonistische bezeichnen könnte 9. Ihr ist ein Künstler, wer „inwendig
voller Figur" (Dürer) ist und seine Vorstellung im Stoff realisieren kann. Das
Kunstwerk ist dann nichts als die Projektion eines gegebenen inneren
Bildes, es ist „fertig, wenn der Künstler seinen Zweck erreicht hat" (Rem-
brandt), auch wenn es unfertig scheint. In dieser Auffassung heißt Können
zweierlei: Vorstellen und Realisieren können. Der Weg vom Auge zur Hand,
vom Bewußtsein zur Leinwand, ist die „Leistung". Muß dieser Leistungsbegriff
aber für alle bildnerischen Ausdruckssysteme gelten? 2) Es ist zu betonen,
*) Siehe Kritische Berichte, Bd. V, Heft 4.
9 Die Geschichte dieser Anschauung hat E. Panofsky geschrieben (Idea, 1924).
Ihren psychologischen Sinn hat E. Kris mehrfach behandelt. Zuletzt in Imago,
1936, p. 340 f. „Bemerkungen zur Bildnerei der Geisteskranken", die auch für das
Folgende Wichtiges enthalten.
2) Eine wirkliche Klärung des Begriffes würde eine Psychologie des bildkünst-
lerischen Schaffensprozesses voraussetzen, die nicht improvisiert werden kann.
Snijders Buch über Kretische Kunst (1936) hat jedenfalls klargestellt, wie komplex
das Problem von dort gesehen ist. Die weitere Diskussion hätte wohl zunächst
den Begriff der „Projektion" für den Einzelfall zu präzisieren. Es ist für die Be-
urteilung künstlerischen Schaffens nicht gleichgültig, ob an ein Umreißen ge-
schauter Bilder oder ein Schaffen aus dem Vorbewußten gedacht wird. Auch für
letzteres mögen die Typen variieren: d. h. der Grad, in dem das Zeichnen steuernd
auf die Zeichnung, das schon Gemalte formend auf das zu Malende wirkt. Es
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Eine Diskussionsbemerkung*).
Alle, die noch an eine Entwicklungsmöglichkeit der Kunstgeschichte glau-
ben, müssen Garger dankbar sein, daß er mit aller Schärfe ein Problem zur
Diskussion gestellt hat, das zu umgehen lange als wissenschaftlich galt. Diese
Diskussion in Fluß zu halten, Fragen aufzuwerfen, nicht Lösungen zu bieten,
ist der Zweck dieser Zeilen.
Gargers Fragestellung ist eine ästhetische — man sollte das verpönte Wort
wieder aussprechen lernen — er fragt nach den Wertungsmöglichkeiten inner-
halb eines historischen Stilganzen. Eine solche allgemeine Fragestellung ver-
langt nach allgemeinen Sätzen als Diskussionsgrundlage. Um die Formulierung
solcher „Rahmenantworten" sind die folgenden Zeilen bemüht. Sie wollen also
nicht als „Polemik" gegen Gargers anschauungsgesättigte Arbeit gewertet
sein, sondern nur als ein Versuch, die gleichen Probleme von einer Distanz zu
überblicken, von der zwar die Einzelheiten verschwimmen, aber die Gesamt-
lage sich vielleicht stellenweise deutlicher abzeichnet.
Gargers Begriff der „Leistung" vereinfacht, wie es scheint, das Bild.
Er fragt im einzelnen: Was ist gewollt und was ist erreicht? — Aber so merk-
würdig das klingen mag, ist in dieser einfachen Frage schon einiges voraus-
gesetzt, das erst untersucht werden sollte. Die Unterscheidung von Wollen
und Können im künstlerischen Prozeß supponiert streng genommen eine An-
schauung vom Wesen des künstlerischen Schaffens, die man ganz schematisch
als die platonistische bezeichnen könnte 9. Ihr ist ein Künstler, wer „inwendig
voller Figur" (Dürer) ist und seine Vorstellung im Stoff realisieren kann. Das
Kunstwerk ist dann nichts als die Projektion eines gegebenen inneren
Bildes, es ist „fertig, wenn der Künstler seinen Zweck erreicht hat" (Rem-
brandt), auch wenn es unfertig scheint. In dieser Auffassung heißt Können
zweierlei: Vorstellen und Realisieren können. Der Weg vom Auge zur Hand,
vom Bewußtsein zur Leinwand, ist die „Leistung". Muß dieser Leistungsbegriff
aber für alle bildnerischen Ausdruckssysteme gelten? 2) Es ist zu betonen,
*) Siehe Kritische Berichte, Bd. V, Heft 4.
9 Die Geschichte dieser Anschauung hat E. Panofsky geschrieben (Idea, 1924).
Ihren psychologischen Sinn hat E. Kris mehrfach behandelt. Zuletzt in Imago,
1936, p. 340 f. „Bemerkungen zur Bildnerei der Geisteskranken", die auch für das
Folgende Wichtiges enthalten.
2) Eine wirkliche Klärung des Begriffes würde eine Psychologie des bildkünst-
lerischen Schaffensprozesses voraussetzen, die nicht improvisiert werden kann.
Snijders Buch über Kretische Kunst (1936) hat jedenfalls klargestellt, wie komplex
das Problem von dort gesehen ist. Die weitere Diskussion hätte wohl zunächst
den Begriff der „Projektion" für den Einzelfall zu präzisieren. Es ist für die Be-
urteilung künstlerischen Schaffens nicht gleichgültig, ob an ein Umreißen ge-
schauter Bilder oder ein Schaffen aus dem Vorbewußten gedacht wird. Auch für
letzteres mögen die Typen variieren: d. h. der Grad, in dem das Zeichnen steuernd
auf die Zeichnung, das schon Gemalte formend auf das zu Malende wirkt. Es
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