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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 57.1906-1907

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Osterrieth, Albert: Der Rechtsschutz des Kunstgewerbes nach dem neuen Kunstschutzgesetz
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https://doi.org/10.11588/diglit.9336#0305

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Der Rechtsschutz des Kunstgewerbes nach dem neuen Kiinstschutzgesetz.

Er muß sich anderseits aber auch klar sein, wie
weit die Grenzen seiner Besugnisse gegenüber fremden
Werken reichen, oder mit anderen Worten, wie weit
er durch die Rücksicht auf den Schutz fremder Werke
in seiner eigenen Betätigung beschränkt wird.

Ein anderes wichtiges Kapitel betrifft das Ver-
hältnis des Kunstindustriellen zu den ausübenden
Kütifllern, namentlich auch zu seinen eigenen An-
gestellten. Diese Frage wird vom Gesetz nicht ge-
regelt. Die Alotive erklären, daß die Verhältnisse
auf den einzelnen Gebieten der Produktion und des
Vertriebes von Kunstwerken so verschieden gelagert
sind, daß eine einheitliche Regelung des Kunstverlags-
rechts vorläufig noch nicht möglich scheint. Ich werde
daher diese Frage nur streifen können.

Ich werde in: folgenden darlegen, was geschützt
ist, wem der Schutz zukomint, welcher Art der
gewährte Schutz ist und welche Beschränkungen
sich hieraus gegenüber fremden Urheberrechten er-
geben.

Geschützt sind, wie ich schon andeutete, die
Erzeugnisse des Kunstgewerbes als Werke der
bildenden Künste. Jedes kunstgewerbliche Er-
zeugnis muß daher den gleichen Erfordernissen ent-
sprechen, wie sie an das Werk der bildenden Aünste
gestellt werden.

Was ein Werk der bildenden Aünste ist, davon
hat wohl jeder eine allgemeine Vorstellung. Iin all-
genieinen bezeichnet man als Werke der Aunst alle
Schöpfungen, die ästhetisch wirksam sind, oder die
bezwecken, Vorgänge und Gegenstände in idealer Ge-
staltung wiederzugeben. Gder es wird das wesent-
liche Ukerkmal der Aunstschöpfung in dein Schönen
erblickt. Allein mit allen diesen schwankenden und
noch viel umstrittenei: Begriffsmerkmalen ist auf dem
Gebiete des Rechts und der Rechtsanwendung —
und nur mit einer solchen haben wir uns zu be-
schäftigen — nicht viel erreicht. Denn da die Ent-
scheidung aller Fragen auf dem Gebiete des Urheber-
rechts den Richtern, also Juristen, obliegt, ist es er-
forderlich, Rlaßstäbe aufzustellen, die das subjektive
Empfinden, den persönlichen Geschmack und wechselnde
philosophische Lehrmeinungen nach Möglichkeit aus-
fchalten. Nun ist es wieder anderseits klar, daß man
eine feste Schablone, die auf jeden einzelnen Fall
paßt, überhaupt nicht aufstellen kann. Indessen lehrt
die Erfahrung, daß allen Werken, die künstlerisch
wirken —■ ebenso wie auch den Werken der Literatur
und der Tonkunst — ein psychologisch bedingtes Mo-
ment innewohnt. Sie beruhen auf individuellen
Schaffensvorgängen und sind in ihrer Wirkung durch
die Individualität des Schöpfers bedingt. Aus dieser
Erkenntnis ist man dazu gekommen, die individu-

elle Gestaltung als das wesentliche Merkmal der
Werke der Aunst hinzustellen; und tatsächlich ist dieses
Kriterium auch zuverlässig und allgemein anwend-
bar, auch wenn die Untersuchung im einzelnen Fall
erhebliche Schwierigkeiten zu bereiten vermag, hier-
nach werden wir davon ausgehen, daß unter Erzeug-
nissen des Aunstgewerbes im Sinne des Urheber-
rechtsgesetzes zu verstehen sind alle gewerblich her-
gestellten oder zu Gebrauchszwecken dienenden Er-
zeugnisse, die eine individuelle Gestaltung zutage
treten lassen, oder deren Eigenart auf eine individuelle
Anschauung zurückzuführen ist.

Umgekehrt ergibt sich hieraus, daß alle Elemente
eines Werkes, die nicht auf einer individuellen An-
schauung des Urhebers beruhen, frei sind und nicht
den Gegenstand des Schutzes bilden.

Suchen wir zunächst festzustelleu, welches die
freien Elemente eines Werkes sind.

In erster Linie sind hier zu nennen die Ge-
brauchsform und die technisch-konstruktive
Form, d. h. jede Form, deren Gestaltung lediglich
durch ihren Gebrauchszweck oder durch die technische
Konstruktion bedingt ist. (Also die Form einer Vase,
eines Schrankes, eines Beleuchtungskörpers, die ledig-
lich iin Hinblick auf die Gebrauchsfunktion gestaltet
ist, unterliegt den: Aunstschutz nicht.) Liegt auf diesem
Gebiet eine den Gebrauchszweck fördernde Neu-
schöpfung vor, mag sich der betreffende Fabrikant
| unter Umständen ein Gebrauchsmuster eintragen
lassen. Unter den Aunstschutz fallen reine Gebrauchs-
formen nicht. Wohl aber die individuelle Gestaltung
der Gebrauchsform, also der künstlerische Zuschuß
zu der der Gebrauchsfunktion dienenden, technischen
Konstruktion.

Weiter müssen wir damit rechnen, daß unser
ganzes Kunstschaffen nur die Fortsetzung einer langen
Entwicklung-ist, daß jeder Künstler auf den Schultern
der Vergangenheit steht und bewußt oder unbewußt
aus dem Schatze der uns überkommenen Kunstformen
schöpft. Viele derartige Formen sind ursprünglich
individuelle Schöpfungen gewesen, aber durch ihren
vielfachen Gebrauch derart — ich möchte sagen —
abgegriffen worden, daß sie ihren individuellen
Eharakter verloren haben und Gemeingut geworden
sind. Ich erinnere z. B. an die typische Form des
jonischen oder korinthischen Kapitäls, an die Ge-
staltung des Akanthusblatts in der Antike, in: Rokoko,
im Louis XVI. usw., an das Band- und Aluschel-
werk des Rokoko.

Schließlich sind noch solche Ideen oder Alo-
tive zu nennen, die zwar zunächst bei ihrem ersten
Auftreten eigenartig oder originell berühren, aber
ihrer Natur nach nicht individuell sind, wie

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