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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 64.1913-1914

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Weiß, Hermann: In 3 bis 12 Monaten Werkmeister und Raumkünstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.8767#0023

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Lehrgang, wie sie dort üblich sind, ausreichen.
Line staatliche oder kommunale Anstalt würden sie
damit als Vollschüler gar nicht besuchen können.
Die privaten Schulen haben es glänzend verstanden,
sich diese Situation zunutze zu machen. Sie ent-
wickelten dabei eine anerkennenswerte Anpassungs-
fähigkeit. Der Eintritt kann bei ihnen nicht nur
jederzeit erfolgen, sondern der Schüler kann auch
ganz nach seiner Wahl und seinen Mitteln einen
Drei- oder vier- oder Fünfmonatekursus usw. bis
zu einem Zwölfmonatekursus absolvieren. Das ist
gegenüber dem Klassensystem der großen Kunst-
gewerbe- und Fachschulen mit ihren Lehrplänen,
die das Lehrziel erst in 3—4 Jahren erreichen lassen,
geradezu verblüffend. Die Interessenten halten
es darum auch für praktischer und zweckmäßiger.
Durch zahlreiche, vorzüglich zur Reklame geeignete
Anerkennungsschreiben ehemaliger Schüler — leider
aber auch hin und wieder durch Stipendien öffent-
licher Körperschaften werden die Leistungen der
Schulen besonders anerkannt. Da ist es kein Wunder,
daß sie florieren und daß bei den Anwärtern des
Zeichnerberufes die Meinung so stark verbreitet ist,
daß es besser ist %—t Jahr eine solche Fachschule
zu besuchen, anstatt auf einer staatlichen Kunst-
gewerbeschule die kostbare Zeit zu vertrödeln.

Dadurch werden die privaten Institute ge-
fährlich. Man braucht doch eigentlich kein Fach-
mann zu sein, um einzusehen, daß man selbst mit
einem Nürnberger Trichter nicht in einem Jahre
perfekte Innenarchitekten machen kann. Dazu ver-
helfen weder die allerbesten und raffiniertest durch-
dachten Lehrpläne noch die allergeschicktesten und
begabtesten Lehrkräfte. In Wirklichkeit sind aber
Lehrpläne wie Lehrkräfte der privaten Schulen
durchaus nicht von so besonderer Art. Die Direk-
toren haben sich zum Teil ihre heute bei ihnen
tätigen Lehrer selbst ansgebildet, oder sie haben
junge Zeichner aus den Ateliers heraus engagiert
und in ihre Lehrschablone eingedrillt. Schon die
niedrigen Gehälter, die ihnen gezahlt werden, und
die Ausbeutung, die mit ihrer Arbeitskraft getrieben
wird, verhindern den Eintritt von Kapazitäten, ganz
abgesehen davon, daß jede persönliche Eigenart
des Lehrers gründlich und vollständig unterdrückt
wird.

Die Leiter der privaten Tischlerfachschulen
lassen fast ohne Ausnahme die große Verantwort-
lichkeit vermissen, die bei der Ausbildung von Be-
rufszeichnern und Werkführern vorausgesetzt werden
muß. Ls kommt ihnen ohne Zweifel in erster Linie
darauf an, ihre Klassenzimmer zu füllen. Dazu
benutzen sie eine würdelose, marktschreierische Re-

klame, von der weiter unten einige Beispiele folgen.
Die Reklame ist der Lebensnerv der Schulen.
Ohne sie würden sie nur ein Scheindasein führen.
Sie ist aber von einer derart niedrigen Sorte,
daß es einem Menschen von Geschmack übel an-
kommt, wenn er die Anpreisungen der verschie-
denen Institute lesen muß. Sie machen sich die
allerschärfste Konkurrenz und setzen sich gegenseitig
in der Achtung auf das tiefste herab. Die folgenden
kleinen Stichproben mögen das illustrieren. So
heißt es z. B. in einem Briefe der Süddeutschen
Schreinerfachschule in Nürnberg:

„wenn Sie eine Fachschule besuchen und einen
vollen Erfolg erzielen wollen, so erreichen Sie das
nur an unserer Schule, die als größte und leistungs-
fähigste Tischlerschule Deutschlands allgemein be-
kannt ist"-„Es liegt in Ihrem eigenen Inter-

esse, wenn Sie sich erkundigen, da es leider auch
viele minderwertige Schulen gibt, die gar keine
Gewähr für eine vollwertige Ausbildung geben
können. Ls sind schon eine ganze Anzahl Schüler
von solchen Fachschulen zu uns übergetreten, die
es immer sehr bedauerten, daß sie nicht gleich in
unsere Anstalt eingetreten sind."

Dagegen heißt es in einem Zirkular der Tischler-
fachschule in Detmold:

„Fast allmonatlich sind jetzt unter den neuein-
tretenden Schülern Herren vertreten, die sich durch
schwindelhafte Reklame vorher haben verleiten
lassen, minderwertige privatinstitnte zu besuchen.
Diese erzählen dann oft voll Empörung und Be-
dauern, in welch schamloser weise sie von solchen
„Schmarotzern am Handwerk" eingefangen und aus-
gebeutet sind.

Um Sie vor derartigen Enttäuschungen und vor
Schaden zu bewahren, legen wir Ihnen die wört-
lichen Abdrucke zweier Briefe bei, die mit vielen
ähnlich lautenden in unserem Bureau eingesehen
werden können. Es ist zwar gegen unser Prinzip,
mit Dank- und Empfehlungsschreiben nach Art von
Wunderdoktoren zu arbeiten, da wir aber sehen
müssen, wie viele bildnngsnchende Handwerker durch
unsaubere Kunden heutzutage um ihr Geld gebracht
werden, halten wir es für unsere Pflicht, hier war-
nend hervorzutreten."

Auch die Tischlerfachschule in Löthen in Anhalt
ist sehr auf das Wohl der jungen Leute bedacht:

„viele junge Leute scheuen deshalb auch keine
Entfernung, um in die berühmte Anstalt in Löthen
einzutreten, aus der richtigen Erkenntnis, daß nur
das Beste gut genug ist, es wird ihnen zugleich
manche herbe Enttäuschung erspart bleiben, d. h. es
werden ihnen erst die Augen geöffnet, viele Schü-

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