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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft III (März 1909)
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Muthesius, Hermann: Wohnungskultur, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0048

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Aufgabe der Reform des Kunstgewerbes und dessen, was man damals „dekorative
Kunst“ nannte, als Ziel der Bewegung vor aller Augen. Und nun folgten jene
Jahre eifrigster, freudigster Arbeit an dem Aufbau einer neuen Kunst; eine junge
Generation von Künstlern, die sofort kampfbereit in die Arena sprang, gab sich
ihr mit Eifer hin. Eine neue Auffassung des Gestaltens wurde geboren, ein neues
Ornament entwickelt, ein neuer Innenraum geschaffen. Das alles geschah in
wenigen Jahren.
Macht man sich das klar, so wird man zugeben, dass eine Arbeit geleistet
worden ist, deren Grösse die Leistungen ganzer vorhergehender Jahrzehnte über-
ragt. Allerdings ist es in der Geschichte der Kunst eine häufige Erscheinung,
dass Stilentwick-
lungen sehr rasch
vor sich gehen. Das
treibende Leben er-
folgt in Rucken, die
nach langen Stok-
kungen einzutreten
pflegen. Man denke
an das rasche, fast
plötzliche Erstehen
der Gotik auf dem
Boden der langen
romanischen Ent-
wicklung , dann an
die schnelle Aus-
bildung des Rokoko
aus dem französi-
schen Wohnungsstil
Ludwigs XIV. und
die rapide Entwick-
lung der massgeben-
den Möbelstile Chip-
pendales und She-
ratons in England.
Die Geistesarbeit
der Zeitalter wendet
sich verschiedenen
Gebieten zu verschie-
denen Zeiten zu, sie
scheint, wie der Ein-
zelmensch, nur im-
mer eine einzige
Tätigkeit auf einmal
ausüben zu können.
So wird die Ge-


schichte wahrschein¬

lich die fünf oder sechs Jahre am Schluss des neunzehnten Jahrhunderts als eine
ebensolche Zeit der plötzlichen Stilentwicklung ansehen, wie die genannten früheren;
als eine Zeit, in der sich die Geistesarbeit wieder einmal auf die künstlerische
Weiterbildung des tektonischen Rüstzeugs konzentrierte. Was in den fünf bis sechs
Jahren geleistet worden war, das wurde dem breiteren Publikum zuerst eindrücklich
auf der Ausstellung der Künstlerkolonie in Darmstadt 1901 gezeigt. Auf ihr wurde
die neugeborene Kunst vorgeführt, und die Vorführung war, was den künstlerischen
Eindruck des Gebotenen anbetrifft, so erfolgreich, dass nur wenige die Ausstellung
verliessen, ohne der neuen Kunst einen kleinen Winkel ihres Herzens geöffnet zu haben.
 
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