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INK 95.

Kunst-Blatt.

Donnerstag, 26. November 1329.

Betrachtungen über die Kunstausstellung in München,
im Oktober 1829.

(Fortsetzung.)

xm

Spe* iaä Lebe» des einzelnen Menschen darstellen
will, fo»n es innerlich oder äußerlich erfassen. 2" so
fern aber das Aeußere stets vom Innern bestimmt wird,
kann er ohne Einsicht in das leztere nicht mit der Abbil-
dung des ersten zu Stande kommen. Dieser Ausspruch
ist so ziemlich im Munde aller Porträtmaler, denn sie
sagen, man müsse die Person, die man malen wolle, erst
eine Zeit lang kennen, durch Unterhaltung und Umgang
ihre Art zu seim, ihren Charakter studieren, dann erst
gelinge es, ein vollkommenes, auch dem Geiste nach ähn-
liches Bild zu entwerfen. Sie lassen aber meistens aus
der Acht, daß nicht blos in den. Hauptformen des Gesichts
und in Miene, Blick und Haltung sich der Charakter des
Menschen ausspricht, sondern eben so sehr in der feinsten
Modelliruug seiner Züge und daß erst durch Andeutung
dieser ihr Abbild vollkommen die geistige Wahrheit erhält.

Die Wahrheit der Natur ist die Basis des Wahr-
scheinlichen in der Kunst, sagt Diderot sehr aphoristisch,
aber er meint damit eben diese Andeutung des Feinsten
und Individuellsten innerhalb der Bedingungen der Er-
scheinung im Allgemeinen.

Jener erste Gedanke bezieht sich aber noch auf einen
andern Punkt, der noch viel weniger, als der ebengenannte,
betrachtet wird. Wenn nämlich der Porträtmaler den
Charakter des Menschen in seiner Gesammtheit darstellen
will, so muß er einen Augenblick der Ruhe, nicht einen
der Bewegung wählen ! und zwar nicht blos der äußern,
körperlichen Ruhe, sondern auch der innern. Erst wenn
alle Thätigkeiten des Geistes und der Seele im Gleich-
gewichte, weder von äußerer Einwirkung gestört, noch durch
innere Bewegung einseitig erregt sind, erst dann spiegelt
sich der innere Mensch vollkommen auf dem Angesicht.
Alles, was dem vorübergehenden Augenblick angehört, gibt

nur einen unvollkommenen Begriff vom Daseyn und We-
sen, denn die Flucht der Bewegung macht uns immer
ungewiß, ob eigene oder fremde Kräfte in ihr wirken.

Nun will ich mit unfern heutigen Porträtmalern
nicht darüber rechten, daß so viele ihrer Porträts nur eine
nvmentane Bewegung darstellen, denn sie könnten mir
einwenden: es finde sich eben in unsrer auf Aeußerlichkeit
und Schein gerichteten Zeit wenig Ruhe und Vollendung
des Charakters, und man müsse froh sepn, wenn er sich
in einem vorübergehenden Moment dem Maler günstig
zeige. Diesen Vorwurf mögen sie bep den Personen, die
sie auf solche Weise malen, selbst verantworten. Wohl aber
verdienen sie Tadel, wenn sie einer schlichten Person durch
malerische Bewegung und emporgerichteten Blick das An-
sehen einer geistreichen Schwärmerin geben; wenn ein
fröhliches Mädchen die Augen Niederschlagen muß, um
frömmer auszusehen, als sie wirklich ist, kurz wenn sie
dem Effekte des Bildes zu Gefallen den Charakter der
Person zu verändern sich erlauben.

Jene erster« ruhige Art, Bildnisse zu malen, läßt sich
mit einer gründlichen, umsichtigen Charakterschilderung
vergleichen, die zwepte der momentanen Auffassung ist nur
die Schilderung einer Situation, und die dritte des fal-
schen Scheins ist, wie wenn eine lebende Person als Figu-
rant in einer erfundenen Geschichte dienen muß. Sie kann
darin zu ihrem Vortheil oder zu ihrem Nachtheil ver-
ändert, nur höchst selten wird sie mit Wahrheit geschil-
dert werden.

Im Jahre 182; waren in Rom drev merkwürdige
Porträts von Thorwaldsen zu sehen. Zwep davon waren
von jungen deutschen Künstlern, Begas und Heinrich
Heß, in gleicher Größe und fast ganz gleicher Stellung,
in denselben Sitzungen gemalt und ebenso vollendet wor-
den. Man sah den Meister in seinem damaligen Alter
von etwa 50 Jahren ruhig an einem Tisch, und wie in
Gedanken vor sich hinblickend; die klaren und lebendigen
Züge des Gesichtes sprachen die ganze innere Thätigkeit
des Geistes aus; denn hatte man Thorwaldsen einmal
beobachtet, wie er stumm und lautlos in wachem Traume
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