Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
fönen nur mit halbem Leib, und so sind Tasso, Shakspeare,
Corneille, Lafontaine und Mozart, diese höchsten und un-
ter sich so verschiedenen Genies vorgestellt, die dem Ruhm
des alten Homer beigesellt zu werden verdienen.

Von der andern Seite links von Homer entwickelt
sich eine andere Reihe von Personen. Obwohl sie durch
die Compositivn der Gruppen verschieden ist, so bildet sie
doch in ihrem Ganzen eine übereinstimmende Linie mit
der andern Reihe. Pindar erhebt seine elfenbeinerne Leyer
zu dem göttlichen Poeten; Anakreon kommt nach ihm.
Plato läßt seine philosophischen Werke fallen und Sokra-
tes ertheilt ihm den Rath, sich nur mit göttlichen Dingen
zu beschäftigen. Nach ihnen kömmt Perikles und Phidias,
der mit kräftigem Arm seine Meißel als Zeichen seiner
Ehrfurcht darbietet. In der ersten Reihe hat man Ra-
phael von Apelles geführt gesehen, in dieser ist Michael
Angelo in seinem Nachdenken vertieft und scheint nicht zu
bemerken, daß er in der Gesellschaft Pindars und Phidias
ist. Aristoteles bemerkt Homer kaltblütig, während Aleran-
der der Große das Kästchen hält, in das er die Ilias und
Odyssee verschließt. Aristarch wirft einen durchdringenden
Blick auf Homer, während unten in der andern Ecke der
Einfassung die Männer neuerer Zeit sich befinden, unter
denen man von dieser Seite Camoens, Fenelon, Racine,
Gluck und Moliöre bei Longin findet, der seine Abhand-
lung vom Erhabenen schreibt, während Boileau mit bos-
haftem Blick der Hand des Redners folgt und sein Werk
übersezt. Ganz unten in der Mitte des Gemäldes ist die
ernste Figur Poussin's, der mit einer Hand eine Mappe
hält, und mit der andern auf Homer als die Quelle dcö
Guten und Schönen.in den Künsten zeigt.

Diese Arbeit ist mit der Feinheit und Sicherheit der
Pinselstriche ausgeführt, welche das Talent des Hrn. In-
gres auszeichnen. Es ist bemerkenswerth, daß dieser Ma-
ler bei seiner Vorstellung von ältern und neuern Personen
auf demselben Gemälde eine ungemeine Biegsamkeit des
Talentes gezeigt hat. An Homer und an den beiden sinn-
bildlichen Figuren zu seinen Seiten findet man alles das
wieder, was die antike'Ernsthaftigkeit. Imposantes und
Majestätisches hat. Die Figur des Dante erinnert an
die Zeit, zu der dieser Dichter gehörte, und die Köpfe
von Fenelon, Moliöre und Boileau, die mit mehr Frei-
heit, als der übrige Theil der Arbeit gemalt sind, bilden
einen schönen Contrast mit den strengen Figuren von
Plato, Menander und Aristoteles. Die Kunst und den
guten Geschmack des Künstlers bemerkt man an seiner
Sorgfalt, die Männer neuerer Zeit so zu stellen, daß ein
Theil ihrer Personen in der Einfassung sich versteckt und
doch von ihrem Costüm so viel sehen läßt, daß man daran
ihr Jahrhundert erkennt, aber nicht so viel, daß der Un-
terschied ihrer Kleidung das Auge beleidigen könnte.

Indem Hr. Ingres seinen Personen neuerer Zeit
mehr Relief gab, und nach und nach seine Töne schwächte,
um bis zu den beinahe in Dünsten schwebenden phantasti-
schen Figuren des Orpheus und Linus zu kommen, die
im Hintergrund des Gemäldes sind, hat er dies weniger
in der Absicht gethan, sich den Gesetzen der Linienperspek-
tive zu unterwerfen, als vielmehr einer Perspektive, die
man chronologisch nennen konnte; denn ich wiederhole
es, dieses Gemälde ist von der Art jener poetischen Träume,
deren sich die Schriftsteller und Künstler des i4ten, löten
und isten Jahrhunderts in Italien wie eines Grundes
bedienten, auf den sie ihre schönsten Arbeiten stickten. Ei-
ner Menge von Stellen ans Dante, besonders aber aus
dem 4ten Kapitel des Triumphs der Liebe und aus dem
zten des Triumphs der Göttin des Ruhms, von Petrarch,
verdanken offenbar die Compositionen ihr Entstehen, mit
denen Veccafnmi den Boden der Kathedrale von Siena
geschmückt.hat, so wie die berühmten Gemälde Raphaels
in dem Saale della Segnatnra: das heil. Sakrament, dis
Schule von Athen, der Parnaß und die RechtsgelchrfaiiK,
feit. Von dieser systematischen Mischung von Poesie, Phi-
losophie, Moral und Kritik ist Hr. Ingres ausgegangen,
um ein Gemälde zu entwerfen, dessen Ausgabe und Zweck
den angeführten Arbeiten analog wäre, jedoch tragen alle
von dem französischen, Maler erfundenen Details den Cha-
rakter großer Originalität.

Wie viel falsche Ideen und übertriebene Ansprüche
hat das Wort ^Originalität" schon entstehen lassen!
Manche betrügen sich , noch so sehr, daß sie an eine mög-
liche Erscheinung eines Homers, eines Dante, eines Shak-
speare, eines Phidias oder eines Michel Angelo glauben.
Die individuelle Originalität dieser Männer ist unbestreit-
bar, und was sie außer alle Vergleichung gestellt hat, ist
die Zeit und die Umstände, in der sie gelebr haben. Ho-
mer lebte gerade zu rechter Zeit, um den uivthologischen
Traditionen ihr Leben zu geben; Dante, um der im öten
Jahrhundert - erschaffenen poetischen Theologie ihre Rich-
tung zu bestimmen ; Shakspeare, um die Ideen des Sü-
dens in die Gehirne des Nordens überzugießen; Phidias,
um die symbolischen Götzenbilder mit dem Bilde des Men-
schen zu umkleiden, und Michel Angelo, um die Ideen des
Mittelalters in menschliche Gestalten, zu verkörpern. Wenn
aber alle diese großen Kombinationen einmal gebildet und
sestgesezt sind, so bleibt, nichts mehr zu thun übrig, als
ihre Vorbilder auf unbestimmte Art zu modifiziren, was
im Alterthum, wie in neuerer Zeit geschehen ist, und So-
phokles und Prariteles, Petrarch und Raphael waren in
diesem Fall. Alle diese, obwohl sehr originale Männer,
sind zum eigentlichen Erfinden zu spat auf die
Welt gekommen. Der Typus war anerkannt, sie haben
ihn angenommen; der Antrieb war. gegeben, sie. sind ihm
gefolgt, was für mich ein neuer Beweis von der Kraft
Index
There is no information available here for this page.

Temporarily hide column
 
Annotationen