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— ’ 298 —

Künstler errathen lassen, was noch hinter der Scene folgt,
und man ist ihm Dank schuldig, daß er die gemeine Par-
tie seines Stoffes nicht weiter ausgeführt hat. Freund-
licher als dieses Gefolge sind die den Zug anführenden
Weiber, eine mit dem Thyrsusstabe vorangehend, die an-
dern mit Trommel und Pfeifen. Auch diese zwar zeigen
schon die Ekstase von Mänaden; aber sie müssen dieß,
wenn der Künstler auf dem mythologischen Boden stehen
bleiben will. Ihre Sinne sind gesteigert, ihr ganzes Wesen
aufgeregt; feiern sie ja doch das Herrlichste, was ihrem
göttlichen Führer seit dem weiten Zuge durch Morgen-
und Abendland nicht begegnet, das Einzige, was ihm ge-
fehlt. Dabei hören diese noch nicht auf, Weiber zu seyn,
man steht es, daß sie mehr von der Freude als vom Weine
trunken sind, und so gehören sie denn auch zunächst an den
Wagen des glücklichen Paares. Die Physionomien sind
sämmtlich ausdrucksvoll, wenn sie gleich nicht alle schön
heißen können. Es ist überhaupt Charakter in dem gan-
zen Bilde. Diesen Charakter des Ganzen hat der geist-
reiche Meister insbesondere durch die Naturscene gehoben
und erklärt. Ich meine damit nichts Landschaftliches; denn
diefi mußte bei der großen Beschränkung des Raumes bei-
nahe ganz weggelassen werden. Es ist vielmehr die Luft
und der Himmel, wodurch der Sedanke des Künstlers le-
bendig hervortritt. Düster und gewitterhast liegen Wol-
ken über dem Gefolge, heiter ist der Himmel über den
voranschreitenden Frauen, und unmittelbar über den Häup-
tern der beiden Liebenden klärt sich der Horizont auf. Mag
dieß immerhin die Bedeutung enthalten, daß ans dem un
glücklichen und sturmvollen Leben der Wanderung und des
bloßen Bedürfnisses der Liebe nun die heilere, ffelige Ge-
genwart deü Besitzes, der Tausch treuer Herzen, die Wonne
des Genusses hervorgegangen sep; es schließt sich daran
aber auch ganz ungezwungen der weitere Gedanke an den
Gegensatz der reineren Freude und der rohen, wilden, sinn-
lichen Lust.

In rechtem Winkel mit diesem Bilde laufen die Dar-
stellungen der Erziehung und der Kämpfe des Bacchus.
Die erstere zerfällt in drei Abschnitte durch den Umstand,
daß in der Mitte zwei Ulmen als Träger eines Rebenge-
ländes sich erheben, unter welchem drei verschiedene Sce-
ne» sich vorfinden. In der mittleren steht auf einem Pan-
ther der kleine Dionysos, gehalten von einer Nymphe;
Eilen und zwei Nymphen oder Musen spielen auf Flöte
und Leyer; andere Mädchen bringen Blumengewinde und
eine kniende ist im Begriff, das Thier, das den jungen
Gott, tragen darf, zu bekränzen. Rechts von dieser Scene
ist eine große Vase, in welche die Nymphen Wasser gießen
zum Bade für ihren Zögling; eine unter ihnen schüttet
duftige Blumen aus ihrem Korbe in das Bad; eine zweite
prüft sorgfältig mit der Hand den Wärmegrad des herbei-
getrageneu Wassers. Auf der Scene links vom mittleren

Felde sind Nymphen mit der Pflege des Weingeländes be-
schäftigt, und eine von ihnen wehrt dem lüsternen Bock
das Benagen der Rebe.

. Das Gegenstück zu diesem friedlichen Bilde sind die
Kämpfe des Bacchus, eine wohlgeordnete Gruppe von Krie-
gern und Landleuten, welche leztere im Gefolge ihres nur
mit Tigerfell und Thyrsusflab bewaffneten Gottes ihre
Geräthe gegen die kriegerischen Heinde gebrauchen und
trotz ihrer Ungewohntheit in solchem Kampfe dennoch mit
Hilfe ihres Vorstreiters den Sieg davontragen. Bacchus
steht in der Mitte und stößt den vornehmsten unter den
Gegnern zu Boden. Andere liegen schon getödtet umher.
Mehrere Bauern schlagen mit ihrer Pflugschaar drein, an-
dere schmettern den Ruf des Schreckens durch musicalische
Instrumente in das Ohr und Herz der Feinde, und schon
beginnt deren Flucht. Unter den Fliehenden ist auch
ein Centaur, der wehklagend die Hand nach dem Kopfe
stößt.

Parallel mit dem großen mittleren Bilde sind die
zwei schmalen -Felder, auf welchen Gruppen und Züge von
Kindern im Dienste des hochgefeierten Liber sich befinden.
Auf dem einen wird das Opfer eines Hahnes auf dem
Altar dargebracht. Von der linken Seite werden dichte
Blumen- und Fruchtgewinde von Kindern hergeschleppt,
andere tragen volle Körbe; rechts musiciren zwei, andere
führen und kränzen einen Bock, auf welchem ihrer Genos-
sen einer mit dem Thyrsusstabe sitzt. — Das zweite Feld
stellt das Einfangen eines Rehes dar, von beiden Seiten
Musik, Spiel und Scherz; einer ist gefallen beim Sprin-
gen chber einen Schlauch, während der andere glücklich den
Sprung vollführt und ein dritter dem Gefallenen die ko-
mische Maske entgegenbglt. Wer mochte hier den Anfang
der Bacchusspiele, die Keime des großen griechischen Drama
verkennen? Hier hat der Künstler den Mythus an die
Geschichte, Dichtung an Wahrheit angeknüpft. Diese bei-
den Felder sind ebenso launig als mannigfaltig. Unstrei-
tig bat dadurch das klebrige, was mit der Entwicklung
des Mythus in näherer Verwandtschaft steht, an Lebendig-
keit und Heiterkeit-^gewvnnen. Dieterich hat das Ta-
lent, den Ernst der Erscheinungen in seiner charakteristi-
schen Bedeutsamkeit aufzufassen. Historische Wahrheit im
edelsten Sinne des Wortes tritt unverkennbar in seinen
Erzeugnissen hervor. In diesen Kindergruppen hat er je-
doch auch die freundliche und komische Seite des Lebens
wohlgefällig ergriffen, und es ist nur zu wünschen, daß
sein kräftiger Pinsel Gelegenheit finde, auch dieser Seite
der Kunstdarstellung öfter sich zuzuwenden. Einen schönen
Beweis seines Verständnisses der christlichen Kunst hat er
in der Skizze niedergelegt, nach welcher die Barfüßcrkirche
zu Frankfurt am Main »I krosco die Verherrlichung des
Erlösers enthalten sollte. Jammerschade, daß der Plan
dieses Werkes, das den Stiftern ebenso wie dem Meister
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