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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 9.1874

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Meyer, Bruno: Raffael's Sposalizio, gestochen von Rudolph Stang
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https://doi.org/10.11588/diglit.4816#0104

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Raffael's Sposalizio, gestochen von Rudolph Stang.

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welches jeder Sammlung zur Zierde und jedem Freunde
Raffael's zur Freude gereichen wird.

Wie das bereits aus seiuer Zeichnung hervorgiug,
hat er sein Hauptaugenmerk anf den vollkommcnen Au-
schluß an deu Charakter des Raffaelischen Werkes ge-
richtet und die Bravour der Kupferstecher-Technik, welche
sich in vieleu der neuercn Hauptwerke dieser Art unau-
genehm aufvringlich in den Vordergrund stellte, lediglich
als dienstbares Mittel zu der beabsichtigten Wirkung
einer ganz treuen Wiedergabe benutzt. Schon äußerlich
tritt der engere Anschluß an das Original in der oben
halbkreisförmig geschlossenen Bildfläche hervor, und im
Totaleffekte setzt er gleich Raffael die sigurenreiche Gruppe
des Vordergrundes in energischen dunklen Tönen gegen
die helle Fläche des Fußbodens und der Stufen des im
Hintergrunde sich erhebenden Tempels ab. Auch im
Einzelncn ist an vielen Stellen, oft handgreiflich nach-
weisbar, der Stang'sche Stich nicht nur treuer und
genauer als der Longhi'sche, sondern er ist auch absolut
betrachtet von einer ganz überraschenden Uebereinstim-
mung mil der Zeichnung, der Tönuug und dem Aus-
drucke des Originales.

Jeder der Köpfe ist mit frappanter Sicherheit nach-
gebildet, und jene Süßigkeit und schwärmerische Jnnig-
keit der Peruginesken Schule, jcue Weiche und Zartheit
der Formen hat der Küustler in vollendetcr Wcise mit
den Mittcln seiner Technik wiederzngeben gcwußt. Nir-
gends wird durch die Taillen des Grabstichels eine Form
härter oder glatter, als das Original sie zeigt. Die
größte Weichheit und Zartheit und die detaillirteste Mo-
dellirung ist überall aufs glücklichste, und absichtlich mit
thunlichst cinfachen Mitteln erreicht.

Es gehört eine Resignation, welcher man aus-
drücklichc Anerkeunung nicht vorenthalten darf, dazu, um
nüt so sicherer Herrschaft über die Mittel, wie sie sich
in einer derartig stilgemäßen und gelungenen Nach-
bildung bewährt, sich nirgends zu eincm Prunkcn mit
der Nirtuosität, uirgcnds zu einer Absichtlichkeit in der
Steigerung der Mittel, nirgends zu einer Kultivirung
der Technik um ihrer selbst willen verleiten zu lassen.
Es ist ja pshchologisch ungemein erklärlich, daß fast alle
modernen Stecher dieser Versuchuug zum Opfer falleu,
deun die Langwierigkeit der technischen Proceduren im
Kupserstiche verführt nur zu leicht dazu, um dem Künstler
die Gleichförmigkeit der Arbeit dadurch interessanter und
kurzweiliger zu machen. Aber wir haben nur zu oft Ge-
legenheit gehabt, zu beobachten, wie darunter die wichtigste
Aufgabe des moderneu Kupferstechers, welcher doch re-
Provucirender Künstler sein will, mit dem Fort-
schritte der Arbeit am Werke fortschreitend verfehlt wor-
den ist. Isoming. «unt oäiosa! Zch will deswegen
eines der bcdeutendsteu Beispiele dieser Art, welches ich
früher an anderer Stelle zu kennzeichnen nicht unihin

gekonnt habe, hier nicht erwähnen; aber wem Gelegen-
heit geboten ist, einige der modernen Meisterstücke dcs
Grabstichels in verschicdenen Platten-Zuständen bis zu
ihrer Vollenduug zu vergleichen, der wird nicht nur eincn,
sondern viele Belcge von der Wahrheit dieser Beobach-
tung finden.

Bei Stang hat auch nicht derSchatten eines solchen
Vorwnrfes Statt. Er hat es herausgefühlt, daß der
entzückendeu Naivität der Auffassung, der großcn Schlicht-
heit des Originales, der Einfachheit in allen Mitteln
bei seinem gewaltig großen Vorbilde nur durch eine
ähnliche Beschcidung im äußerlichen Apparate würdig
entsprochen werden konnte, und wenn daher vielleicht die
speciellen Freunde der moderncn Bravour dcn Mangel
frappanter Kunststücke und nnglaublich raffinirter Einzel-
partien gewissermaßen tadelnd urgiren werden, so glaube
ich, daß die kunstwissenschaftliche Kritik ihnen mit vollster
Energic die Wage zu halten hat durch die Koustatirung
der Thatsache, daß in diesem Werke Mittel und Zweck
miteinander im vollsten Einklange stehen und der Auf-
gabe selber vollkommen entsprechen.

Es wird nothwendig sein, noch auf einige der we-
sentlichsten äußeren Unterschiede zwischen dem Raffae-
lischen Sposalizio, wie es Stang reproducirt hat, und
dem übermalten Bilde, welches Longhi noch stellenwcise
willkürlich verändert hat, besonders aufmcrksam zu machen.

Zunächst erscheint die vortrcffliche Komposition, die
schon durch den halbrnnden oberen Abschluß bemerkens-
werth hervorgehoben wird, noch vollendeter durch die La-
terne über der Kuppcl des Tempels, welche bei Longhi
unbegreiflicher Weise ^ vollständig fehlt. Die sehr in-
dividuellen Gruppen, welche sich vor dem Tempel be-
finden, sind bei Stang nicht nur genauer nachgebildet,
sondern sie sind auch in das richtige Verhältniß zu dem
Tempel gesctzt, dessen Unterbau hier um eine Stufe über
ihre Köpfe emporreicht, so daß die Figuren in der Vor-
halle des Tempels nicht wie bei Longhi ihnen unmittel-
bar auf die Köpfe zu treten scheinen. Das Pferd links
im Hintergrunde, welches Longhi der Harmonie seiner
dem Originale gar nicht entsprechenden Gesammthaltung
zu Liebe zu einem Schimmel gemacht hatte, ist hier wie
bei Raffael dunkcl. Wesentlicherer, wiewohl feinerer
Natur sind die durch Wegnahme der Uebermalung her-
beigeführten Veränderungen in der Hauptgruppc, unter
welchen insbesondere die Gewandung der Maria uud
deren linke Hand sich wesentlich verschönert und eine
klarere Entwickelung bekommen haben.

Nur eine einzige leichte Abweichung von dem Ori-
ginale hat Stang sich gcwiß iu bester Absicht, aber trotz-
dem wohl unnöthiger Weise bei dem Kostüme des den
dürren Stab über das Knie entzweibrechenden Jünglings
rechts im Bilve erlaubt. Zndessen ist dieses Detail dcs
Kostümes von so untergeordneter Bedeutung und die
 
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