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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 9.1874

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227

Kunstliteratur. — Personalnachrichteii

228

welch gesunder Humor leuchtete aus den im Formate
so unbcdeutenden Btättchcn dem Beschauer in eincr Form
cutgegen, dic den Mcister in jedem Stückchcn bckundetc!
Hat sich der Künstler gleich beim erstcn Hervortreten in
die grvßc Ocffentlichkeit die Hcrzcn von Tausenden wie
im Fluge crobert (einige Tage nach dcm Erschcinen dcs
ersten Bandes mußte schon eine zweite Ausgabe veran-
staltet werdcn), so wird dcr vorlicgende zweitc Band
diese Verehrung sicher nicht schwächen, im Gegentheil,
Wo möglich noch steigcrn.

Worin liegt der immcnse Reiz, der diesen Schöp-
fungen innewohnt und den Betrachter nüt unwidersteh-
licher Gewalt fesselt? Darin, daß wir hier Gelegenhcit
haben, gleichsam zu belauschen, wie der Genius sich seine
Umgebung ansieht und den Stoff künstlerisch verarbeitet.
Wir bcgleiten den Künstler sozusagen auf scinen Spa-
ziergängen und beobachten ihn, wie er die Erscheinungen
des Alltaglebens in sich aufnimmt und sie in seinem
Geiste läuternd umgestaltet. Wir haben Gelegenheit,
ihm auch in seinem Atelier gleichsani über die Achseln
zuzuschen, wie er mit wenigcn Strichen das Angeschaute
auf das Papier hinwirft, daß es für den Bcschauer
zum verschönten Bilve des Lebens werde. Für jedes
Frankfurter Kind stellen diese Gestalten stadtbekannte
Persönlichkeitcn dar, für uns allc sind sie Typen, und
jeder kann aus seiner Bekanntschaft entsprcchende Per-
sönlichkeitcn substituireu. Hcndschel gibt in edlcr Form
das allgcmcin Menschliche; darum hcimeln uns alle scine
Figuren wie gute Bekannte an.

Es sind nur Skizzcn, die der Künstlcr in den Au-
geublicken dcr Begcisterung hingewvrfen hatte; sie sollteu
die Skizzenmappe füllen uud allenfalls gute Freuude iu
ouinoru og.ritu.ti» erfreueu. Bci ihrer Entstehung waren
sie auf die Oefsentlichkeit uicht berechnet; deshalb ihre
ausgesprochene Absichtslosigkeit, und darin liegt einer
ihrer höchsten Reize.

Wie der erste Band, so bringt auch der zweite
mehrere gelungene Kinderscenen: naschende Kinder, den
Jungen auf dem Schaukelpferd, einen anderen anf der
rechten Spur, — wir glaubcn ihn bald darüber weincn
zu sehcn, daß er nicht mehr Aepfel in seinen bereits
strotzenden Taschen wird unterbringen können. Hend-
schel's Bildchen haben das Eigenthümliche, daß sie keine
Unterschrift brauchen; jeder versteht sogleich den Sinn,
und man wäre oft versucht, aus dem Stegreif dazu eiu
Geschichtchen zu erzählen; das Frühstück dcs klcincn
Mädchen's ist ein fertiges Gedicht ohne Worte.

Auch der Humor ist wiedcr in reicher Fülle da.
Wie ist dem armcn Conditorlehrling uni seine Tortc
bangc, wenn der böse Schusterjunge wirklich mit dcn
Schneeballen zu bombardiren anfängt! Aus keincn Fall
wird sie so fcst stchen, wie dcr Straßburger Münster
vor den deutschcn Kanonenkugcln. Das Dnctt des holz-

spaltenden Ehcpaares scheint anch in einer Dur-Tonart
sich zu entwickeln, und erst das Alpenhorn iin Gebirge,
das zur Feier dcr cnglischen Touristcn so ernsthaft ge-
blascn wird, welchc Töne wird es hinabscnden in's Thal
— gut, daß wir sie nicht hören, wir würden kaum sin-
gcn können: „Von dcr Alpc tönt das Horn, gar so
zaub'risch wunderbar!" Still ist dagegen der blauc Mon-
tag; zwei edlc Brüdcr schlafen auf einer Bank des Stadt-
parkes den Sonntagsrausch aus. Wie der Tod auf dem
Schlachtfelde oft dic Leicheu dcr Gcfallenen wundcrbar
gruppirt, so zwiugt der Rausch seine Opfer, nicht minder
kühne Stellungen und Lageu anzuuehmen.

Viele Skizzeu sind fleißig ausgeführt uud eigcutlich
ferligeBilver. Poesiereich sind die Mädchengestaltcu, wie
das Mädchen am Grabc, das am Fcnster mit dcr Zicge-
Jm Klosterkeller braucht der lebensfrohc Möuch auch
nur ein Licd anzustimmcii, um uach Luther's Spruch dcn
Bcweis zu geben, er gehöre nicht in's Narrenhaus. Dic
fünf Personcn im Coupö dcs Vergnüguugszugcs, dic
der Zufall hicr zusammengesetzt hat, führen uns in
Versuchung, zu untersuchcu, wohin jede der Personen
uud warum sie reisc — doch das mögc sich Jeder selbst
crzählcn! Tief empfundcn ist „dcr letztc Dank": der im
Lazareth sterbende Krieger umfaßt die Haud der holden
Krankcnwärterin, dcrcn Arm mit dem rothcn Kreuz gc-
schmückt ist, um ihr für die treue Pflege mit crsterben-
der Lippe zu danken. Und nun das Schlußblatt: auf
der Zeil in Frankfurt! Wie bei eineni Zauberkünstlcr,
der schon Hundcrtc von Sträußchcn ans leercn Hänvcn
ausgethcilt hat, und dcr im Augenblick, wo man glaubt,
der Vorrath ist crschöpft, nvch eine Fluth von Blunien
hervorbringt, so Hendschel. Was erzählcn uns diese
Spaziergänger nicht Alles! Wie nett ist alles ausgeführt,
wie gcht da Poesie, Schcrz und Satire friedlich neben-
einander! Haben wir mit dem Modeaffen in den schlot-
ternden Beinkleidern alles gehörig gemustert, da finden
wir sehr zur Unzcit die Equipage schlecht postirt.
Warum muß auch die Dame bei dem Schlage aus-
stcigen! Doch haben wir dafür Gelegenhcit, cin Paar
zierlichc Füßchen zu bcwundern und müssen bekenucn,
daß der lose Schalk auch das kleinste Plätzchcn zu be-
nutzen wciß, um die Wclt von dort aus zu bctrachten-

R L. 'lV.

Persoimluachrichtcli.

vr. Bnmo Mcycr, unser geschätzter Mitarbeiter, ivurde
au Stelle des nach Prag bernfenen Prof. I)r. Atfred WoN-
inann zunr Prosessor der Knnstgeschichte ani Polytcchniknm z»
Carlsruhe ernannt.

Proscssor Or. von Lütiow, der Hcrausgeber dieser Zcü-
schrist, wurde voiu Frcicn Deutschen Hochstist zn Fraiikfurt a. Dü
zuni Ehrenmitgliede und Meister ernannt.

Proscssor H. G. Hotho, Direktor der Kupferstich-Saniin-
lnug des k. Museums ;u Berlin, ist dort am 24. Dczember
uach achltagiger Krankheit im Alter von 71 Jahren gcstorben.
 
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