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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 9.1874

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Valentin, Veit: Aesthetische Ketzerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.4816#0217

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Aesthctijche Ketzerei

429

43tt

für dcn Künstlcr sclbst und dic ihm glcich odcr ähnlich
Anschnucndcn gültigc. Dcfinirt er ja (S. 15) selbst
das Knustwerk als „die Wirklichkeit, wie sie sich einem
Künstlcrauge darbietct sabcr jedcm dvch wohl wieder
andcrsj, wie sie die Künstlcrhand dcm Beschaner erklärend
dvrfnhrt, durchaus aber kcine Jllnstration cincr abstrakten
3dce", nnd (S. I-I) als eines, das außer der Jndivi-
dualität deö Gcgcnstauves und der platonischen Zdee,
„vor allem zugleich die Juvividnalität und die Zdcc
des skünstlerö sclbst vor dcn Angcn des Bcschauendcn
hcranfzauberl." Wie hinfällig wcrden solcher Anffassnng
gegenüber jcne rvhcn Urthcilc solcher, die nnr von dem
Slofflichcn erfaßt werdcn, uud zu deren Befrievigung
die Künstler sich sv oft anf's Snchen „ncuer" und „m-
teressanter" Stoffe legen, während dcm großen Künstler
auch der alte Stoff gecignet erscheint, ein Trägcr und
Bertnnder der ihm eigcnthnmlichen Wellanschauung zu
wcrden. 2st es doch gcrade die cigcntlichste Aufgabc
des echten Künstlcrs, naiv in die Welt zu schauen, dnrch
solchc Anschannng eine inluitive, nicht durch Reflexion
orzcngte Weltanschauung zu gewinucn uud sie vadurch in
seiuen Werken hervorleuchten zu lasscn, daß eine cigen-
thümliche Bezichung zwischen allcn Eiuzclheiten sich her-
stellt, die in dcr Nalur auSeinanderzufallen scheincn,
und von dcnen man glanbt, Eincs odcr das Andcre los-
lösen zu können, ohne dem Ganzen zu schadcn. 2m
Kunflwerke jedoch entsteht gerade durch diese Bcziehung,
durch dicses nolhwcndige Aneinandcrhängen allcr Theile
daS künstlerische Ganzc, das scine Bcgründung in der
Seele des KünstlerS hat, seine Bcrcchligung aber in
jedem Zug, in jeder Linie aufwciscn muß. Tritt dies,
wie es nicht anders sein kann, in allcn Werken dcs
Künstlers gleichmäßig hervor, so ist es dcr Stil, soweit
dieser aus dcm Subjelt enlspringt, der subjektive Stil,
der wohl zu unterscheidcn ist von dcm vbjektiven Stil,
der seine Norinen in dcm Sloffe, dcm Gegenstande der
Darstellung zn suchen hat. Ob es freilich crlaubt ist,
den Gcdanken, cincn in der Natur im Ciuzelnen schcin-
bar nichl vvrhandcnen Zusammcnhang durch dcn Künstler
hergesteltl zu sehen, so weit zuzuspitzcn, daß „die Opc-
ration vcö wahren Künstlers" darin bestände: „charakte-
^istische Organismcn aufzufasscn, das der ölatur Nichl-
golungenc zu crsetzcn oder zu ergänzcn, es so erst ganz
üi Znsammenhang mit sich sclbst, dann in Zusammcn-
h>Uig mit der gauzen Natur zu sctzen, die Absicht, welche
die Natur irgendwie verhindert wordcn ist auszuführcn,
üi ihrcm Sinne herzustcllen" (S. 97) — das möchte
doch oic Frage sein. Es wirb bei diescr Anschauungs-
weise die Seele des „wahren" Künstlcrs als iventisch
"üt der gehcimnißvollcn schöpfcrischcn Krast betrachtcl,
wclche alle öialurcrzcugnisse umspaunt, und uns ihren
wahren Znsammenhang nicht erkenucu, sondern nur
"hnen läßt. Uud gcrade um dcswillcn bcgnügen wir nns

ja, um zur Bcfriedigung unserer nach dcm „Schauen
der Wahrhcit" dürstcnden Scele zu gelangen, mit dem
Znsammenhangc, wie ihn einc besvnders ahnungsvolle
Seele mit cincr für sie selbst geltcndcn Wahrhcit erfaßt
hat und nns darstellt. 2st aber diese Seele dcs „wahren"
Knnstlers auch besonders ahnungsvoll, so ist doch kcin
Grund vorhanden, sie in ihrer Schvpfungökraft der
Natur selbst gleich zu stcllen und ihre Wcrke nicht ctwa
blos als einfache, sondern sogar als in höherem Grade
gelungenc Naturwerke zu betrachtcn. Denn wcnn auch
„cin vollkommenes Kuustwerk ein Werk des mensch-
lichen Gcistes und in diescm Sinne auch ein Werk Lcr
Natur" ist, so darf doch daü bazwischentretende und
von dcr Natur bci diescm höhercn Naturwcrk glcichsam
als Station benutzte Jndivibnum nicht außcr Acht ge-
lasscn wcrdcn. Man wird jener Ansicht nur bann zu-
stimmcn tönncn, wcnn man wie ber „Ketzer" der Scho-
penhancr'schcn Anschauung hnldigt, als müsse das Prinzip
der Zndividuation bei der künstlerischcn, iutuilivcn An-
schauung der Welt durch das Subjckt dcs reinen Er-
kenncns ganz anfgehoben werden, eine Anschaunng, die
Schopenhaner als mit seincr Grnudausfassung harmv-
nirend in seiner Acsthctik bnrchfiihrt, unb burch wclche
er biese in vielfachcn Wiberspruch mit den Thatsacheu
bringt. Zeigt doch gerabe der subjektive Stil, wie das
. individuelle Momcnt bci dcm Künstlcr um sv schärfcr
hervortritl, je bedeutender er ist, nnb wie die Art unb
Weise vcrschiedener „wahrcr Künstler" dcnuoch cine so
ganz verschiebcne ist, wenn sie in dersclben Cinzeler-
scheinnng das von Allen gcahnte und gcsnchte Allgemcin-
gültige, das doch schließlich auch immer dasselbe sein muß,
zumAusbruck bringcn. Oder ist nicht der ein „wahrer
j Künstler", dem gerade dieses Schwerste gclungen ist, das
i nur dem Genie zu gelingen vermag, daß scine Gestaltcn
, typische Bcbcutnng gcwinncn? Bleibt abcr trotzdem eine
Vcrschicdcnhcii der Ausfassung bestehen, so baß gerade
das Jndividuum dcs Künstlcrs deutiich nnd scharf er-
kannt wcrden känn, so ist das Prinzip der Jndividuation
im Subjekt, im Künstlcr, nicht aufgehobcn; und blcibt,
wie es gerade in den „Bricfcn" gestellt wird, das
Verlangen richtig, daß die abstrakten akademischen For-
mcn vcrmieden werdcn und als Mustcr die Natur in
ihrer unenblichen Mannichsaltigkeit individueller Ver-
schiedenheiten gclten soll, so blcibt das Prinzip dcr Jn-
bividuation auch im Objeki, dem Gegenstande der künstle-
rischen Darstellung, bestehcn. "Wohl aber enthält das
bcecutcnbe Künstwerk jene wunderbare Vereinignng der
Einzelgültigkeit und ber Allgemeingültigkcit, die es über
die Grenzen von Individuum, Volk, Zcit hinaus ver-
ständlich machl. Wir sprechcn ausdrücklich nur von
einem „bedeulenden" Kunstwerk, nicht aber von eincm
„wahreu" oder „echten." Das Kriterium dcs „bc-
deutenden" Kunstwerks liegl in ihm selbst und der von
 
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