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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 9.1874

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Dohme, Robert: Zur Baugeschichte des Kölner Domes, [1]: eine Uebersicht
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https://doi.org/10.11588/diglit.4816#0402

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799

Zur Baugeschichte des Köluer Domes.

800

cincn größercn Zcitraum, etwr ein Menschenrltcr lang,
unverrndert crhrltcn.

Endlich aber hat schon Springer im Jahre 1860
cinen wcitcren Bewcis gcgen Schnrase aufgestellt, den
dicser in seiner neuen Anflage zu widerlegen sncht,
ohne daß doch scine Gegengründe genügend sein dürften.
Kann man nämlich von einem Architekten von so hoher
praktischcr und ästhetischer Ausbildnng, wie Gerhard cs
unstreitig gewesen, voraussetzen, daß er den hentigen
Chor rn die alte Basilikr reihcn, d. h. also sein Werk,
welches ruf drci Seiten das komplicirteste Strebesystem
nöthig hat, an der viertcn ohne Gegenstütze lassen
wollte? Schnaase erwidert: 1) Der Chor hrt durch
fünf Jrhrhunderte grnz isolirt gestanden, also ist die
strtische Möglichkeit einer solchen Ausführung glänzend
bewiesen. 2) Wir sind über Größe, Struktur und
selbst Lrge des alten Domes zn wcnig unterrichtet, um
zn wissen, welche Mittel des Anschlusses derselbe etwa
bot. 3) Die Krthcdralen von Tournay und Le Mans
sind anrloge Fälle gewrltiger Höhendifferenzen zwischen
Chor und Rest dcr Kirche. Dagegen läßt sich an-
führen: 1) Die statische Möglichkeit beweist nichts; es
ist dics vielmehr ein Resnltrt, auf wclchcs es hier in
crster Linie nicht ankommt, weil sie gegen, oder, wenn
mrn lieber will, über drs Konstrnktionsprincip hinaus
erreicht worden. Wenn die Gothik für die Stütze ihrer
hohen Mittelschiffsgewölbe in den Augen des Architekten
auf drei Seiten cin so reichcs Strebesystem nöthig
macht wie hier, so kann cr auch auf der vierten nicht
dieselben Pfeiler nnd Gewölbe, die er sonst für
stützbedürftig hält, sich selbst überlassen. Am aller-
wenigsten hätte dies ein Architekt des dreizehnten
Jahrhnnderts bei einer Anlage von solcher Kühnheit
gethan, dcr bei der Anordnung der geringen Mauer-
stärken mit vollem Bewnßtsein die Standfähigkeit der
einzelnen Gewölbe hauptsächlich nur auf statisches
Gleichgewicht berechnete; noch dazu ein Architekt, gebildet
in der ersten Hälftc des drcizehnten Jahrhnnderts, dem
der ganze seit kurzem erst erfundene und immcr noch
weitcr entwickelte Strebcapparat noch heiliger Ernst
war. Die Frage ist lediglich praktischcr Natur und
wendet sich insofern in erster Linie an die praktischcn
Architekten. Diese aber werdcn mit mir übereinstimmen,
daß nur, wenn der alte Dom in seinem eigenen roma-
nischen Mauerwerk die dem gothischen Chor fehlende
Stütze geben konnte, eine solche Kombination bcider
Bautheile denkbar wärc. Das aber vermochte das alte
Gebäude nicht. Sovicl läßt sich, obgleich wir es nicht
nicht näher kennen, nnt Bestimmthcit sagen^ selbst wenn
man seine Lage so günstig zu dem Chor annimmt als
nur möglich. Jenes alte Bauwerk, eine Säulenbasilika,
stammte in ihren Grundzügen aus der zweiten Hälfte
des zehnten Jahrhunderts, wcnn man es nicht gar, wie

Schnaase Bd. III. x. 550 zu thnn schcint, noch in
die karolingische Periode zurückbatiren will. Die fol-
genden Zeiten brachtcn mehrfache Acnderungen, dercn
wichtigste die Einzichung von Gewölben, wahrscheinlich
1149, war. Der Grnndriß aber ist in seinen Haupt-
maßen immer der alte geblieben. Die hcnte erhaltenen
Bauten dcs zehntcn Jahrhunderts nun sind alle in
ihren Abmcssungen klein, und wir thäten dem Kölner
Dome sicher Unrecht, ihn mit diesen zn vergleichen.
Ebenso gewiß aber — und ich denkc, das wird mir
allerseits bereitwillig zugcstanden werden — beurtheilt
man ihn viel eher zu gnt als zu schlecht, wenn man
ihn mit der Abtcikirche von Limburg a. d. Haardt,
dem stolzen Bau Poppo's von Stablo, ch 1042, der
größtcn Säulenbasilika, die wir überhanpt haben (wenn
mich das Gedächtniß nicht täuscht), vergleicht. Hier
hatte das Mittelschiff bci 38^ Fuß lichter Wcite cine
Höhe von 75 Fuß, nnd es war dies ein Verhältniß,
wie es in ganz Deutschland nur noch annähernd in ver
Abteikirche von Hersfeld (von demselben Architckten) er-
reicht wird, also wahrscheinlich im Dom von Köln, ver
sechzig Jahre älter war, noch nicht vorkain. Nimnit
man dazu ferncr an, daß die Wölbnng mit rnndbogigen
Kreuzgewölben das Gebäude wieder noch um einiges
erhöht habe — was vurchaus nicht nöthig war und in
der That sehr unwahrschcinlich ist — so konimt man
inimer nur auf cine nngefähre Höhe von 80 Fuß im
Lichten für den alten Dom als äußerstes Maß, obgleich
er wahrscheinlich erheblich niedriger war. Dem steht
der Chor mit einer lichten Höhe von 140 Fuß gegen-
über, also eine Differenz von 60 Fuß, wahrschcintich
aber noch viel größer. Bei einem solchen Verhältniß
kann mau es mit Bestimmtheit aussprechen, daß das
alte Gebäude dem neucn absolut keine Stütze zu
geben vermochte.

Was nun die angezogenen Beispicle der Kathe-
dralen von Tournay und Le Mans betrifft, sv ist mir
letztere nur aus Viollet le Due bekannt. Bei ihr lehnt
sich allerdings ein gewaltiger gothischer Chorban an
eine ältere Kirche, der man zu diescm Zwcck an jedem
Querschiffsflügel ein Gewölbequadrat zulcgcn mußtc,
damit dieses überhanpt nnr die Chorbreite errciche.
Jn diesem Falle könnte ich mich darauf berufen, daß
Viollet le Duc die Vermuthung ausspricht (Bd. H.
p. 356 f.), cs sei hier nrsprünglich ein Wciterbau beab-
sichtigt gewesen, dcr später aus unbckannten Gründen
unterblieben wäre. Allein jcde bloße Vermuthung ist
so lange werthlos, als sie durch keine faktischen Beweise
gestützt wird. Viel wichtiger nnd geradczn entscheidcnd
ist es, daß hier die in Köln fehlenden Stützen nach
Wcsten zu vorhanden sind, indcm man zwischen das
Querhaus und die Chortraveen ein schmales Gewölbe-
joch eingeschoben (etwa ^ der Breite der übrigen) und
 
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