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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 11.1900

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Obrist, Hermann: Hat das Publikum ein Interesse daran, selber das Kunstgewerbe zu heben?, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4360#0107

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HAT DAS PUBLIKUM EIN INTERESSE DARAN, SELBER DAS KUNSTGEWERBE ZU HEBEN? 95

davor zurück, die Verwalterin ihres eigenen Gutes
zu sein oder ein Geschäft wie das von Bon-
Marche zu gründen, so braucht sie auch nicht
davor zurückzuschrecken, in Berührung zu kommen
mit einer gewissen Öffentlichkeit, immer eingedenk,
dass ihr daraus so viel Interesse, Freude und ge-
steigerte Regsamkeit erblüht, dass die Mühe reichlich
aufgewogen wird. Hier liegt ein reiches Feld der
Thätigkeit für unsere beschäftigungslosen Frauen, die
nicht alle einen Beruf ergreifen können, dürfen oder
mögen. Um nun aber einem Missverständnis vor-
zubeugen, wollen wir ausdrücklich betonen, dass es
nicht nur für die Reichen möglich ist, auf solche
direkte Weise in Kontakt mit den Kunstgewerbe-
treibenden zu kommen. Auch nicht bloss bei Be-
stellung von ganzen Ausstattungen, Mobiliar, Por-
zellan, Tischzeug. Nein, es giebt wenig Einzelgegen-
stände, die nicht extra bestellt werden könnten. Immer
Neues braucht ja ein Heim, das mit zunehmender
Wohlhabenheit immer behaglicher und luxuriöser wird.
Man braucht neue Tische, neue Lampen. Ein ganzes
Zimmer wird für die erwachsene Tochter eingerichtet.
Ein Rauchzimmer wird der Wohnung hinzugefügt.
Eine Blumenetagere, neue Stühle werden nötig, und
wenn es nur ein Spiegel wäre, stets kommt wieder
eine neue Gelegenheit, etwas Geschmackvolles zu
erwerben. Man wird mir nun aber einwenden: Das
wird alles viel zu teuer, es dauert auch viel zu lange,
ehe man es bekommt, wozu denn auch, es lohnt sich
doch nicht, es wäre schade um das Geld. Nun gut,
lassen wir einmal diese Einwände gelten. Zugestanden,
dass die Indolenz des Menschen so gross ist, dass
er sich nicht einmal die Mühe geben will, sich etwas
zu tummeln, um sich später freuen zu können. Es
bleiben doch noch die zahllosen Geschenke übrig,
die alljährlich zu Weihnachten, zum Geburtstag, zur
Hochzeit vergeben werden. Und hier kann man nicht
sagen, dass der Bürger es nicht für der Mühe wert hält,
Geld auszugeben. Ebenso wie er Hunderte für ein
stattliches Diner, Hunderte für einen wohlbestellten
Weinkeller ausgiebt, ebenso verausgabt er mit oder
ohne Zaudern grosse Summen für Geschenke und
Repräsentation. Er unternehme einmal das Wagnis,
bei einem Juwelier etwas ganz apartes, künstlerisch
eigenartiges zu bestellen unter obengenannten Be-
dingungen, und es ist ausser allem Zweifel, dass er
mit seinem Geschenk einzig dastehen würde unter
allen Gebern. Statt einer silbernen Fruchtschale in
Rokoko oder englischem Empire dringe er darauf,
verlange er, befehle er etwas ganz anderes, einfaches
aber neu ersonnenes. Man würde in der Werkstatt
sich vor Staunen nicht recht zu helfen wissen, aber
gerade die Verwirrung würde vielleicht, vielleicht
etwas neues entstehen lassen.

Und wenn die Männer keine Mühe scheuen, für
den Keller, die Jagd, den Sport, d. h. für Essen,
Trinken und Amüsement, das ihnen am besten kon-
venierende so lange zu suchen, bis sie es bekommen,
könnten auch die Frauen, die von der Natur durch
geringere Ausbildung solcher, wie sollen wir sagen,
mehr physiologischer Triebe besonders bevorzugt sind,

das Suchen nach etwas apartem, neu ausersonnenen
zu ihrer grossen Lebensfreude ausbilden. Sie haben
doch Zeit, Müsse, Geld, Kraft für ihre Schneiderin,
warum nicht für die doch ganz anders anregenden
Gänge und Besprechungen in den Werkstätten der
Kupferschmiede, der Tischler, der Juweliere, und der
Glasmaler? Statt der erschöpfenden Seancen 'bei den
Schneiderinnen wären das Stunden der reinsten Freude,
der Freude, künstlerisch und schöpferisch thätige Meis-
ter und Gesellen an der Arbeit zu sehen, an einer Arbeit,
die für einen selber angefertigt wird, die man wachsen
sieht wie ein Kind wächst. Zweifelsohne ist das alles
nicht ohne beträchtliche Anstrengung und Mühe zu er-
reichen, jedoch darf man sich das nicht übertrieben vor-
stellen. Diejenigen Frauen und Männer, die die ersten
sein würden, solche neuen Wege zu wandeln, auf die
Suche zu gehen nach dem Schönen, dem noch nicht
tausendfach wiederholten Schönen, auf die Jagd nach
Talenten, statt in Eile das erste beste in einem Laden,
was ihnen leidlich gefällt, zu kaufen, die müssten sich
zuerst nicht abschrecken lassen, da ihnen' nicht alles
auf dem Präsentierteller entgegengebracht werden kann;
vor allem müssten sie die verhängnisvolle moderne
Hast verlernen oder hintan setzen können. Der einzige
Einwand, den wir gelten lassen können, wenn man
solche Vorschläge als phantastisch bezeichnen sollte,
dürfte der sein, dass man so lange auf das auf diese
Weise bestellte warten müsste. Wenn aber ein Mann,
der die Jagd als Sport betreibt, es sich nicht ver-

Armlehnstulil im nordischen Stil, entworfen und ausgeführt in den
Werkstätten von F. A. SCHÜTZ, Hofmöbelfabrik, Leipzig.
 
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