Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

DOI article:
Kunstgewerbliche Rundschau
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0112

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
104

KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

denke an die schräg aufgestülpten Schwedenhüte und
malerischen Baretts und die Schärpen der Soldatentrachten.
Solche Dinge überläßt das weibliche Geschlecht im all-
gemeinen seinen freieren Elementen. Im bürgerlichen
Zeitalter der Biedermeierei ist richtig auch die männliche
Tracht zurückhaltender geworden. Die Knopfreihen sitzen
alle hübsch in der Symmetrieachse und wenn je der Rock
eine seitliche schräge Knopfreihe zeigt, so fehlt nie die
zwecklose Ergänzung auf der anderen Seile. Streng in
der Achse sitzend muß denn auch unser konservativer
Festhut getragen werden.

Die Waffentechnik kennt keinerlei Rücksichtnahme auf
akademisch-ästhetische Forderungen; streng nach den
Forderungen der Praxis wählt sie die geeignete Form,
ob symmetrisch oder nicht; bemüht sich keineswegs, das
Unsymmetrische zu bemänteln und wird gerade dadurch
die beste Führerin in kunstgewerblichen Angelegenheiten.

Auffallend ist die große Zahl der unsymmetrischen
Bildungen in der Heraldik, bei der Strenge der sonstigen
Formenstilisierung. Die Wappenverschränkungen mit ihrer
diagonalen Symmetrie erklärt Pazaurek einleuchtend damit,
daß die Dreieckschilde schräg getragen und aufgehängt
wurden. Tiere sind eben von vorn nicht so deutlich und
auch, wegen der Verkürzungen, schwieriger zu zeichnen;
sind aber im Profil unsymmetrisch, was schon im Altertum
der dekorativen Kunst Schwierigkeiten gemacht hat. Man
kann dem Profilexemplar ein symmetrisches Gegenstück
geben, Kopf an Kopf oder Rücken an Rücken. Letztere
Anordnung ist beim Adlermuster die Vorstufe des so-
genannten Doppeladlers.

Wie bedeutsam Symmetrie oder Unsymmetrie wirken
kann, zeigen die verschiedenen Fahnenformen: einerseits
das Kirchenbanner, andererseits der flatternde Kriegswimpel.

Und nun die Symmetrie in Kunst und Kunsthandwerk!
Es wäre ja sehr bequem und manchem, in der Zeit der
Stilwiederholung denkfaul gewordenen Produzenten eine
willkommene Eselsbrücke, wenn man die Anwendung der
einzelnen Arten von Symmetrie und Unsymmetrie fein
säuberlich nach den verschiedenen Eventualitäten in ein
System bringen könnte. Aber leider, oder vielmehr zum
Glück für die Entwickelung, gibt es in Kunstfragen kein
Reglement. Das Gefühl muß jedem die richtige Lösung
diktieren, wenn ihm die Organe für das Kunstverständnis
nicht überhaupt fehlen. — -In der Symmetrie liegt Ruhe,
Erhabenheit, Feierlichkeit, Monumentalität; in der Un-
symmetrie die Entladung des Temperaments, teils nach
der Seite kapriziöser Laune, teils nach der der wilden
Leidenschaft.« Also Symmetrie, soweit der Gebrauch es
zuläßt, für einen Tempel, einen Prunkpalast, Symmetrie
für das Götterbild, das Denkmal eines Heros der Sage,
auch für den Bucheinband eines klassischen Dichterwerkes.
Anders bei Räumen, die der heiteren Muse dienen, bei
Plastiken, die ins Genre fallen und für die Gegenstände
des Haushalts. Ein Zigarrenetui, eine Kaffeetasse sind
nun einmal nichts Monumentales und können es nie
werden. (Auch nicht, wenn sie zu feierlichen Geschenk-
zwecken eigens angefertigt werden; es entsteht da nur
ein komischer Kontrast). Aber auch die Unsymmetrie
kann sehr leicht übertrieben werden. Kleine Abweichungen
von der Symmetrie, die das Gleichgewicht nicht aufheben,
wirken nicht störend, sondern belebend; darum versichert
sich ja der Architekt so gerne der Mitwirkung des Bild-
hauers oder Malers. Aber die Spielerei mit willkürlichen
Bildungen lenkt die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Bati-
gedanken ab. Wenn derartige Bestrebungen überhand
nehmen, folgt regelmäßig ein Rückschlag in die kahlste
Symmetrie (Rokoko— Finanzkammerstil, Reißbrettarchitektur
— »malerischer« Villenbau). Manches heute unsymmetrische

Gebäude ist ursprünglich symmetrisch angelegt; es ist so
geworden durch Anbauten oder durch unvollständige Aus-
führung. Aber selbst krasse Fälle dieser Art heute be-
seitigen und durch treue Rekonstruktion ersetzen zu wollen,
wäre übel angebracht. Gerade die historisch gewordene
Unsymmetrie an alten Kirchen und Burgen ist weit ent-
fernt, uns ästhetisch zu beunruhigen; solche entzückend
malerische Anlagen, die von längst vergangenen Kämpfen
und Schicksalen erzählen, üben vielmehr einen großartigen
Reiz auf uns aus. Wie man aber versucht, bei Neu-
schöpfungen den malerischen Reiz solcher Unsymmetrie
künstlich zu züchten, erlischt der ganze Zauber. Derartige
unorganische Konstruktionen empfinden wir nur als affektiert.

Das Unsymmetrische ist immer erlaubt, wo der Zweck
es erfordert; z. B. bei einer Brücke die Pfeilersporen an
der Angriffsseite der Strömung. Das Unzweckmäßige
kann in den Nutzkünsten nie vollendet schön sein; wohl
aber erscheint vielen, besonders heutzutage, schon das
rein Zweckmäßige auch als ästhetisch vollkommen.

Der Klavierbau wird immer auf Unsymmetrie ange-
wiesen sein, weil eben die Saiten verschieden länger sein
müssen. Ebenso die Porträtmedaillen oder Plaketten,
weil eben nur das Profilbild des Kopfes sich in leichtem
Relief gut darstellen läßt. Niemand denkt daran, dei
Symmetrie zulieb denselben Kopf im Spiegelbild zu
wiederholen. Für den Webstuhl eignet sich die bilaterale
für die Drehscheibe, die Drehbank und die Glasbläser
pfeife die radiale Symmetrie. Alles Unsymmetrische muß
da erst freihändig angefügt werden, wie bei den Gefäßen
die Henkel und die Schnauzen. Überall, wo es sich um
Guß, Prägung und Pressung handelt, ist das Prinzip der
Reihung bequemer als das der Symmetrie, obwohl auch
diese die Herstellung der Formen erleichtern kann. So-
weit Zufallskünste im Spiele sind, hört auch die Sym-
metrie auf. (Craquele-,Kristallisations- undUberlaufglasuren,
Marmorvorsatzpapiere, Xylektypom). Wenn man Zufalls-
formen mit dem Spiegelbilde verdoppelt (wie der originelle
Dichter Justinus Kerner seine »Klecksographien«, durch
Abdruck auf dem gefalteten Papierblatt), so entsteht wohl
ein symmetrisches, neues Gebilde, aber schwerlich ein
künstlerisches Motiv. Auch das alte Kaleidoskop, das
nicht nur bilateral verdoppelte, sondern sogar radial sym-
metrisch vervielfältigte, hat dem Kunstgewerbe keinen
Nutzen gebracht.

Aber sonst spielt die symmetrische Verdoppelung des
einen Objekts oder Motivs natürlich eine große und oft
berechtigte Rolle (Kaminböcke, Vasen der Rokokozeit,
Ohrgehänge).

Bei ganzen Reihen oder Garnituren ungerader Zahl
verlangen wir in der Regel ein stärker betontes Mittel-
stück. Dies gilt selbst in der hohen Kunst; man denke
an das hl. Abendmahl, das vornehmste Schulbild für die
Frage des Gleichgewichts in der bildenden Kunst.

Die Ostasiaten, denen Symmetrie und namentlich
Gleichgewicht, natürlich auch keineswegs unbekannt sind,
haben sich in solchen Lagen nie so wie wir von einem
solchen formalen Prinzip knechten lassen. Aber auch
die Amerikaner können uns manche gute Anregung geben
(Befreiung von den gleichmäßigen Möbelgarnituren). Wir
aber lassen uns ganz unnötige Verdoppelungen gefallen
bei allem, was schön sein soll (Schloßbeschläge und sogar
Schlüssellöcher verdoppelt bei Zweiflügeltüren).

In der Architektur, die aus statischen und ästhetischen
Gründen am meisten an die Symmetrie gebunden ist,
wurde von jeher von symmetrischen Wiederholungen der
ausgiebigste Gebrauch gemacht. Die beiden Arme einer
Treppe steigern wesentlich die Pracht eines Bildes, das
etwas vorstellen soll; ebenso die Verdoppelung von Türen,
 
Annotationen