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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0113

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

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Kaminen, Baikonen, Erkern, Türmen. Aber wieviele
zwecklose Zutaten dieser Art verdanken nur der Groß-
tuerei ihren Ursprung; wieviel Geld wird dabei vergeudet
auf Kosten solider und echt künstlerischer Zwecke!

Harmlos ist im Kunstgewerbe die Verdeckung von
Materialfehlern mit Hilfe symmetrischer Verdoppelungen
im Ornament. Ein kleiner Glasurfehler am Porzellan wird
übermalt mit einem Streublümchen oder Ornament, und
die Aufmerksamkeit wird davon abgelenkt, wenn man
ein ähnliches in beiläufiger Symmetrie hinzufügt. Doch
vermeiden die Ostasiaten auch schon eine solche Täuschung.

Eine kleine Abteilung stellte Extreme zusammen.
»Das sicherste und bequemste Mittel Aufsehen zu erregen,
ist die Übertreibung.« Pazaurek findet, daß häufigere
und größere Übertreibungen in der Symmetrierichtung
festgestellt werden können, als in der entgegengesetzten;
und zwar gerade auch in der Kunst von heute, wo sie
wie hilflose Primitivität und Negation der hohen Kunst
erscheinen. Es gibt zwar Gemälde, meist moderne, die
in der seltsamsten Weise unsymmetrisch abgeschnitten
sind. Aber was bedeuten derlei Extravaganzen gegenüber
den Orgien, die der Symmetriegeist schon gefeiert hat!
Wenn an einem Platz zwei Kirchen übereinstimmend auf-
gestellt sind, so kann das den monumentalen Eindruck
mächtig steigern (Gendarmenmarkt in Berlin, Kommuns
des Neuen Palais in Potsdam, Piazza del Popolo in Rom
usw.). Aber die moderne Wiederholung einer alten Kirche
(S. Germain l'Auxerrois zu Paris) als anstoßender Mairie,
ist eine Karikatur. So gereicht es auch in Mannheim
weder dem alten Rathaus noch der Kirche zum Vorteil,
daß sie mit einem gemeinsamen Miltelturm zusammen-
geklebt und als Seitenstück behandelt sind. (Verschiedener
Meinung kann man darüber sein, ob der verschiedene
Zweck der beiden Hofmuseen zu Wien mehr Rücksicht
verdiente oder die symmetrische Gestaltung des Maria-
Theresiaplatzes). Die eigenartigsten Symmetrie-Übertrei-
bungen entstanden aber da, wo auf Befehl eines Fürsten
eine ganze Stadt auf einmal nach einem Reißbrettgrundriß
entstand wie Mannheim und Karlsruhe. Derartige Projekte
nehmen sich auf dem geduldigen Papier immer unverhältnis-
mäßig günstiger aus als in der Verwirklichung, denn da haben
sie nie genug Symmetrie. Das ist eben der Nachteil
einer solchen Anlage, daß auch die geringste Abweichung
sofort unangenehm empfunden wird und wenn es nur ein
etwas höherer Schornstein wäre.

Die historische Abteilung der Ausstellung war eingeteilt
nach konservativen und oppositionellen Stilen. Pazaurek
sieht in der Kunstentwickelung einen ewigen Wechsel kon-
servativer, klassizistischer Perioden mit solchen, die nach
neuen Idealen streben. Eine gewisse »Übersättigung oder
Ermüdung des Formgefühls« (wie der verstorbene Stutt-
garter Ästhetiker Adolf Göller sagte), mag dabei jeweils
im Spiele sein, wenn die Mode und der Kunstgeschmack
von einem Extrem ins andere zu fallen pflegt; und zwar

— im Gegensatz zum Pendel — in immer weiter aus-
einandergetriebene Extreme, vielleicht auch in immer
kürzeren Perioden.

Als oppositionelle Stile faßt Pazaurek auf den nordischen
des 3. bis 6. Jahrhunderts n. Chr. die Gotik, das Rokoko
(Referent kann dem für die Frühgotik nicht zustimmen,
wohl aber für die sogenannte Spätgotik des 15. Jahrhunderts,
die Dehio schon als einen neuen Stil proklamiert hat).
Das Barock faßt Pazaurek nur als Ausklang der Renaissance
auf, eben weil es an der Symmetrie festhält. Fein bemerkt
ist die Unterscheidung von pomphafter Repräsentation
nach außen und esoterischer übermütiger Laune im Rokoko.

— »Immer strenger wird mit jedem Rückfall die Einhaltung
klassischer Ideale, immer konsequenter wird aber auch —

Kunstgewerbeblatt. N. F. XVIII. H. 5.

nach der Überwindung der naturgemäßen Übergangs-
periode — die Abkehr vom Klassizismus, wenn es erst
der Opposition gelungen ist, sich durchzusetzen,« und
alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß der Zukunftsstil,
an dem wir eben erst arbeiten, noch viel unklassischer
(und unsymmetrischer) sein wird, als das Rokoko; zumal
dann, wenn den Deutschen die Führung zufällt. Aber
wenn die Symmetrie immer mehr eingeschränkt wird,
wenigstens auf den Gebieten der Alltagskunst, so wird
um so sicherer das Prinzip des ästhetischen Gleichgewichts
herrschen.

Die letzte Abteilung der Ausstellung, die der modernen
Kunst gewidmete, predigt — bewußt oder unbewußt von
Seiten dessen, der die Auswahl getroffen hat — in Bei-
spielen und Gegenbeispielen eben diese Tendenz.

E. GRADMANN-Stuttgart.

DIE NEUE UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK IN
HEIDELBfcRQ

Am 10. Dezember igos wurde das von Geheimrat
Professor Dr. Josef Durm aus Karlsruhe erbaute neue
Bibliothekgebäude der Universität Heidelberg feierlich
eröffnet und dem Verkehr übergeben. Das Bauprogramm
wurde von dem Oberbibliothekar Dr. Zangemeister, der
die Verkörperung desselben nicht mehr erleben sollte, auf-
gestellt und von seinem Nachfolger im Amte, Professor
Dr. Wille, unter geringen Veränderungen beibehalten und
durchgeführt.

Das Ministerium Nokk mit seinem Hochschulreferenten
Dr. L. Arnsperger, das sich unsterbliche Verdienste um
die Wohlfahrt der badischen Hochschulen erworben hat,
brachte den Bau bei der Ständekammer ein und erhielt
von dieser die für die Ausführung verlangte Summe von
1250000 Mark genehmigt. Der Betrag wurde wegen un-
günstiger Bodenverhältnisse auf 1327967 Mark erhöht, bei
welcher Summe übrigens die Kosten für den Geländeer-
werb und die innere Einrichtung nicht inbegriffen waren.
Im Frühjahr 1901 wurde mit den Arbeiten begonnen und
im Frühjahr igos wurden die Arbeiten für die innere Ein-
richtung vergeben.

Der Bauplatz war kein regelmäßiger und nur nach drei
Seiten von Straßen umzogen, die vierte schlössen Nachbar-
gebäude ab.

Bei dem Aufbau ging man von dem Satze aus, daß
es bei öffentlichen Bibliotheken weniger darauf ankommt,
einen gleichmäßig verarbeiteten, palastähnlichen Bau an
die Straße zu stellen, als vielmehr darauf, aus der Eigen-
art des Bedürfnisses das Bauwerk herauszuarbeiten und
sein Äußeres demgemäß zu gestalten. So wurden die
verschiedenen Geschäftsräume, zu denen die Arbeitsgelasse
der Bibliothekare und des Direktors, Dienerzimmer, Aus-
leihzimmer, Auditorien, Ausstellungsräume, der große all-
gemeine Lesesaal, die Aufbewahrungsräume für die inti-
meren kostbaren Bestände, Garderobe, Toiletten usw.
gehören, in zwei Stockwerken zusammengelegt und im
unmittelbaren Zusammenhang mit diesen in einer zweiten
Gruppe die großen Bücherbestände, die in fünf niedrigen
Geschossen untergebracht sind. Auf diese Weise entstand
der Verwaltungsbau und der Magazinbau, die innig mit-
einander verbunden, einen weiten architektonisch gebil-
deten Hofraum umschließen.

Im Innern dürften wohl der Ausstellungsraum und der
große Lesesaal als die Bauteile angesehen werden, die
einzig und allein eine mehr künstlerische Durchbildung
gestatteten. Dem Hauptraum im Baue — dem Lesesaal
— wurde in vorbereitender Weise ein gleichartig architek-
tonisch gebildeter Raum, das Vestibül vorgelegt und diesem

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