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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Berlage, H. P.: Baukunst und Kleinkunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0195

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BAUKUNST UND KLEINKUNST

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reichen Bauhütten, aus welchen so viele Weltwunder
hervorgegangen sind, »des Zirkels und des Recht-
scheites kundiger als der Feder; in den Monumenten,
welche sie aufgetürmt haben, stehen die Ansichten
und Regeln, die sie leiteten, mit Werkstücklettern ge-
druckt.«

Aus diesem Einleitungssatz ergibt sich, daß die
Konstruktionen vom Meister, welcher allerdings der
Praxis durchaus mächtig war, weil er aus einer Bau-
hütte und nicht aus einer Akademie der bildenden
Künste hervorgegangen, das heißt also vom geistigen
Führer aufs Papier gebracht wurden.

Aber was die Renaissance anbelangt, steht für
diese jedenfalls fest, daß nicht Baumeister die ersten
Umwandlungen hervorgerufen haben, sondern Maler
und Zeichner, für welche Behauptung Architektur-
zeichnungen von verschiedenen Künstlern wie Hol-
bein und vielen italienischen Meistern den Beweis
liefern, die aber auch sofort ersichtlich machen, wie
gefährlich gerade solche Beispiele für die Entwicke-
lung der Architektur sind, indem auf Konstruktion
absolut keine Rücksicht genommen ist. Darüber
gleich mehr.

Ja, sogar Dichter und Gelehrte übten Einfluß aus,
indem sie durch ihre Schriften die neuen Ideen pro-
pagierten.

Ich will, um dieses näher zu erörtern, die Ein-
leitung zu einem Aufsatz über den fröhlichen Einzug
der Renaissance in die Niederlande mitteilen, eine
Renaissance, welche gewiß, ich glaube dies ohne
Chauvinismus behaupten zu können, zu den meist
charakteristischen Kunstäußerungen gehört; eine Re-
naissance, welche sich weit über die Grenzen meines
Vaterlandes ausgedehnt hat und deren schönste Blüten
leider nicht in Holland selbst, sondern in Dänemark
gefunden werden. Diese Einleitung lautet wie folgt:
»Zwischen der,Nachfolge Christi' von Thomas a Kempis
um 1420 und Erasmus' ,Lob der Narrheit' von 1508
liegt noch kein Jahrhundert; aber die geistige Ent-
fernung, welche diese Bücher trennt, ist eine von
tausend Jahren; kein so klares Bild von einer Revo-
lution in der Welt der Gedanken, welche sich inner-
halb dieser 88 Jahre abspielt, als dasjenige, welches
gekennzeichnet wird durch den Gegensatz zwischen
diesen beiden am meisten gelesenen niederländischen
Büchern; das eine der kurze Begriff der schulmäßigen
Lebensanschauung des Mittelalters; das andere die
Blüte des klassischen Humanismus.

Und in der Tat; es ist der große Rotterdamer,
welcher durch seine Schriften in Holland als der
Vorläufer der geistigen Bewegung betrachtet werden
muß, die in Italien begann und von dort aus ganz
Europa überströmte.

Und derjenige, welcher die Beschreibung liest
von »Der Narrheit Hofzug«, wird, wenn er kein
Fremder ist in den Werken der holländischen und
vlämischen Zierkünstler und Stecher des 16. Jahr-
hunderts, sich davon kein anderes Bild machen
können als dasjenige, was in den sogenannten »Gro-
tesken« von Cornelis Floris, Peter van Aelst, Hans
Vredeman de Vries, Petrus a Merica, Balthazar Sylvius

und anderen sichtbar ist; denn was diese zeichneten
mit Kreide oder Stift, schildert Erasmus mit der Feder.
Seine mit Rosen bekränzte Hedone würde eine präch-
tige Karyatide; die auf ihren Ellbogen sich stützende
Mesofonia eine ausgezeichnete Frontonbekrönung; die
schlummernde Lethe eine vortreffliche Eckfüllung sein;
und der schwerfällige Tryphe vergegenwärtigt neben
den Bacchanten und Satyren das komische Element.
Und welch ein herrliches Mittelstück für einen
der sogenannten Compartimenta, eine von den vlä-
mischen Künstlern jener Zeit so geliebte Verzierung,
das eigenartige vlämische Ornament, würde nicht
seine geistreiche Schilderung, die Göttermahlzeit auf
dem Olymp, abgeben können? wobei der schnell-
füßige Merkur seine Diebereien und der verächtliche
Priapus seine Zoten ausführt. Vulkan spielt den
Narren und macht die Götter schmunzeln; Silen, der
sonst den Cordoa, den Bauertanz von Lucianus, allein
tanzt, macht jetzt mit Polyphem den Zyklopensprung;
die schlanken Nymphen schweben barfuß .um ihn
herum, und die unbeholfenen Satyre versuchen Atel-
lanen, einen Tanz wie der spanische Fandago zu
hüpfen, während Pan gesalzene Liedchen singt, welche
viel mehr nach dem Geschmack der Götter sind, als
die Lieder der Göttinnen. — Diese Beschreibung zeigt
die Propagation der neuen Kunstbewegung durch
einen Gelehrten; und was nun die Propagation durch
Kleinkünstler, und unter diesen auch durch Maler,
betrifft, dazu möge folgendes dienen.

Schon in der Gotik findet man oft auf Gemälden,
in Miniatur, auf Wandmalereien und an Holzschnitt-
arbeit eine Art Schilder oder Bänder, welche In-
schriften enthalten, Namen, Sprüche usw. Zu diesen
gemalten oder geschnitzten Gegenständen nahm man
Schleifen von Pergament oder Leder als Vorbild.
Diese Stoffe haben die Eigenschaft, daß sie sich unter
dem Einfluß von Feuchtigkeit sehr leicht einrollen
und dadurch eine zierliche Kontur erhalten. Dieses
ziemlich primitiven Verzierungsmotivs der Gotik be-
mächtigen sich die vlämischen Ornamentzeichner des
16. Jahrhunderts, und bildeten dasselbe nach dem
Prinzip der Renaissancekunst um. In der Tat ist
dieses Motiv ganz neu, denn in der klassischen Kunst
kommt die sogenannte Kartusche nicht vor; und
trotzdem ist dieselbe in Charakter und Wesen ein
reines Renaissancemotiv, das mit den gotischen Bändern
nur historisch zusammenhängt.

Die vlämischen Künstler dachten sich ein Schild
von Pergament oder Leder, oft auch zwei Schilder,
ein oberes und ein unteres, zusammen verflochten,
und gaben ihnen nun die verschiedensten Formen;
ergänzt mit Ornament, Masken, Ringen, Löwenköpfen,
Rosetten usw.

Und diese Kartusche verbindet man nun mit
allen möglichen Bauteilen, stellt sie gegen die Wand,
gegen Pilaster, benutzt sie zu Bogenfüllungen usw.
Eine Folge dieser Kartusche ist die Verzierung
der schon soeben genannten Compartimenta; dieselbe
entsteht, wenn der eigentliche Körper der Kartusche
weggelassen wird, und nur ein Netzwerk übrig
bleibt.

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