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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Osborn, Max: Der deutsche Kunstgewerbe-Krieg
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0198

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DER DEUTSCHE KUNSTGEWERBE-KRIEG

denken. Den Anlaß nur, — denn die Gründe lagen und
liegen tiefer: lagen in der Tatsache, daß die Wirksamkeit
von Muthesius den Herren vom »Fachverband« längst
ein Dorn im Auge ist, und in der Besorgnis, dem
alten Schablonenbetriebe könne in Wahrheit einmal
endlich der Garaus gemacht werden, die Herren
könnten ernstlich in ihren Bemühungen gestört wer-
den, wie man wohl beschönigend sagt: den »Bedürf-
nissen des Publikums entgegenzukommen«. Um dem
ein Paroli zu bieten, nahm man seine Zuflucht zu
einem weiteren reizenden Mittel: man denunzierte die
scharfe sachliche Kritik, die Muthesius den bestehen-
den Verhältnissen gewidmet hatte, als — »Beleidi-
gungen« eines ehrenwerten Standes! Solch einen
Geheimrat also haben Sie, Excellenz! Solch einen Do-
zenten, meine Herren Kaufleute! Einen Mann, der keiner
nationalen Gesinnung fähig ist, und der noch dazu
treue deutsche Firmen beleidigt! . . . Ohne Zweifel,
eine angenehme Art der Agitation! Aber was soll
man machen, wenn wirkliche Gründe nicht vorhan-
den sind?

Es ist immer das Gleiche: wenn ein geschmack-
voller Mann seine Kraft, sein Wissen und seine Energie
aufwendet, um unsere Kunstverhältnisse zu bessern,
unseren Leistungen einen höheren Rang im europäischen
Wettbewerb zu sichern, und dabei das Bestehende
einer herzhaften Kritik unterzieht, so wendet sich der
ganze Haß der Vertreter des alten Schlendrians gegen
ihn. Und wenn er es dabei gar wagt, auf auslän-
dische Zustände hinzuweisen, von denen wir lernen
sollten, so ist er »undeutsch«, »der Ausländerei ver-
fallen«, so »setzt er das Ansehen Deutschlands her-
ab«, und was dergleichen giftige Redensarten mehr
sind. Wir kennen die Weise, wir kennen den Text,
wir kennen auch die Verfasser. Gerade unser Kunst-
gewerbe hat sich in der modernen Bewegung ganz
eigenartig, ganz deutsch entwickelt, und gerade auf
diese hervorragende und besondere Stellung unserer
jüngsten kunsthandwerklichen Leistungen hatte Muthe-
sius hingewiesen. Tut nichts, der »Moderne« wird
verbrannt!

Unglaublich war es, daß die Angriffe gegen
Muthesius sich unter anderem auch darauf stützten,
dieser spekulierende Kunstgelehrte stehe der Praxis
und ihren Anforderungen fern. Jeder Kenner weiß,
wie eifrig dieser »Theoretiker«, der von Hause aus
Architekt ist, gerade in der letzten Zeit am Werke
war. Jüngst erst, um nur einiges zu nennen, hat
Muthesius die Wohnhäuser des Gymnasialdirektors
Neuhaus in Dahlem, des Barons von Schuckmann
in Zehlendorf, des Geheimrats Seefeld ebendort und
sein eigenes Haus in Nikolassee gebaut, die Errichtung
eines Landhauses am Molchowsee bei Alt-Ruppin
und die Bebauung eines ganzen Geländes in Trave-
münde in Angriff genommen.

Nun, alle Bemühungen halfen den Herren vom
»Fachverband« nichts. Zunächst erlebten sie im Spe-
zialfälle Muthesius eine Abfuhr nach der anderen.
Schon nach wenigen Tagen hatten sie von der Kor-
poration der Kaufmannschaft die gebührende Antwort.
An diese hatten sie ganz unverblümt die Forderung

gerichtet, wenn überhaupt »das Bedürfnis nach einem
solchen Lehrstuhl tatsächlich vorliegen sollte« ihn
mit jemanden zu besetzen, der »größere Fachkenntnis
und Objektivität entwickelt, als dies dem Herrn Ge-
heimrat Dr. Muthesius möglich zu sein scheint«.
Dieser »Antrag« wurde energisch abgelehnt, und in
der Begründung schrieben die Ältesten:

»Die Dozenten der Handelshochschule Berlin ge-
nießen die akademische Lehrfreiheit in demselben
Umfange, wie die Dozenten anderer deutscher Hoch-
schulen. Daß im vorliegenden Falle ein Mißbrauch
dieser Lehrfreiheit vorliege, haben wir nicht finden
können. Nach § 2 der Ordnung der Handelshoch-
schule Berlin ist ihr Zweck: »die für den kaufmänni-
schen Beruf nötigen und nützlichen Wissenschaften
durch Lehre und Forschung zu pflegen«. Dieser
Zweckbestimmung entspricht es, wenn ein Dozent
sich nicht nur damit beschäftigt, seinen Zuhörern die
bisherigen Überlieferungen seines Faches zu bieten,
sondern wenn er sie auch im Wege der Forschung
dazu anleitet, in richtiger Art Kritik zu üben und an
der Fortentwicklung des Bestehenden zu arbeiten.
Eine solche wissenschaftlich begründete Kritik der bis-
herigen Leistungen und die Aufzeigung der Mittel
zur Weiterentwicklung in neuen Bahnen ist für Handel
und Industrie nicht nur nicht schädlich, sondern in
hohem Maße förderlich, ja notwendig. Dafür, daß
dies in dem vorliegenden Falle in beleidigender Form
geschehen sei, ist keinerlei Beweis beigebracht worden.
Über den Ton, welchen die Zuschrift gegenüber einem
um das deutsche Kunstgewerbe hochverdienten Manne
anschlagen zu dürfen glaubt, können wir nur unser
tiefes Bedauern aussprechen.«

Das war deutlich! Vom Handelsminister Delbrück
ging den Herren Einsendern zunächst gar keine Ant-
wort zu. Sie erneuerten daher am 4. Mai ihr Ge-
such und baten, recht aufdringlich, um eine Audienz
in der Angelegenheit. Worauf sie dann am 15. Mai
auch von dieser Instanz ihren Bescheid erhielten:

»Ihre Vorstellungen gegen die Tätigkeit des Ge-
heimen Regierungsrates Muthesius richten sich gegen
wissenschaftliche Ausführungen, die er in seiner Eigen-
schaft als akademischer Lehrer der hiesigen Handels-
hochschule und unabhängig von seiner Tätigkeit als
Mitglied des Landesgewerbeamtes gemacht hat. Wenn
ich schon deshalb grundsätzliche Bedenken tragen
muß, Ihrem Wunsch gemäß gegen diese Ausführungen
amtlich einzuschreiten, so vermag ich andererseits auch
nicht anzuerkennen, daß diese Ausführungen Beleidi-
gungen von Berufsklassen enthalten, die ein Eingreifen
von Aufsichts wegen erheischen würden.

Bei dieser Sachlage dürfte sich eine mündliche
Besprechung der Angelegenheit erübrigen.

(gez.) Delbrück«.

Damit war die persönliche Seite der Angelegen-
heit erledigt. Nicht die sachliche. Denn schon in
seinem ersten Stadium hatte der Angriff weitere Kreise
gezogen, so daß die Debatten und Zwistigkeiten
sofort über den Einzelfall hinaus auf das Gebiet
prinzipieller und allgemeiner Fragen gerieten. Aus
der Reihe der Mitglieder des Fachverbandes selbst
 
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