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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Osborn, Max: Der deutsche Kunstgewerbe-Krieg
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0199

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;DER DEUTSCHE KUNSTGEWERBE-KRIEG

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erwuchsen dem Vorstande die heftigsten Ankläger.
Auf die Nachricht von jener Intrigue hin richteten
die »Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst« im
Verein mit einer Anzahl anderer Firmen eine Gegen-
eingabe an den Minister, in der sie der Tätigkeit
des Angegriffenen rückhaltlose Anerkennung und leb-
haftesten Dank zollten und der Hoffnung Ausdruck
gaben, daß der verdienstvolle Mann seinem Amte
auf lange Zeit hinaus erhalten bleibe, zum Segen
des deutschen Kunstgewerbes, das kein Geschäft, sondern
eine Volksangelegenheit sein müsse. Zugleich übermit-
telten mehrere angesehene Firmen aus dem Verbände,
die diese Gegeneingabe nicht mitunterzeichnet hatten,
dem Vorstande eine »Resolution«, die ein klares Miß-
trauensvotum bedeutete. Und noch weitere Bedräng-
nisse entstanden den Einfädlern der Intrigue. Die
Dresdener Werkstätten forderten diejenigen Firmen,
die mit ihnen zusammen die Gegeneingabe an den
Handelsminister unterzeichnet hatten und noch nicht
Mitglieder des Verbandes waren, auf, dieser Vereini-
gung beizutreten. Der Vorstand aber ging in die Falle
und — lehnte den Beitritt dieser Firmen brüsk ab;
an erster Stelle wies er die Münchener »Werkstätten
für Kunst im Handwerk« zurück, zu deren Mitarbeitern
unter anderen ja auch Bruno Paul, der junge Direktor
der Berliner Kunstgewerbeschule, gehört! Damit war
mit aller Deutlichkeit bewiesen, daß der Fachverband
den »modernen« Bemühungen gegenüber überhaupt
einen Anton von Werner-Standpunkt einnimmt, daß
es ihm tatsächlich nicht darum zu tun ist, einen allge-
meinen Bund der deutschen Kunstgewerbler zu bilden,
sondern daß sein Ziel eine durchaus einseitige und
charakteristische Interessenvertretung ist. Mit vollem
Recht konnte darum die »Hohe Warte«, die, wohl
auf Veranlassung der Dresdener Werkstätten, zu An-
fang Juni den ganzen Tatbestand, soweit er bis dahin
vorlag, aktenmäßig darstellte, anknüpfend an jene Abwei-
sung der hervorragenden MüncLener Firma schreiben:
»Es gibt in Deutschland viele Firmen, deren Aufblühen
mit dem Fortschreiten der modernen Ideen im Kunst-
gewerbe eng verwachsen ist. Sie werden aus der
Tatsache der Ablehnung einer der ersten modernen
Firmen die Konsequenzen zu ziehen wissen. Sie
werden jedenfalls dem »Fachverband« jetzt und in
Zukunft das Recht bestreiten, sich als die berechtigte Ver-
tretung des Kunstgewerbes zu betrachten. Sie werden
ihm lediglich das traurige Vorrecht zugestehen, Ver-
treter aller rückschrittlichen Tendenzen, eine Hemmung
gesunder Entfaltung und sicheren Fortschritts zu sein.«
Inzwischen war von den Opponenten des Vor-
standes immer dringlicher der Wunsch ausgesprochen
worden, die ganze Angelegenheit auf dem Kunstge-
werbetag zu Düsseldorf am 14. Juni zur Erörterung
zu bringen — ein Verlangen, dem der Vorstand nach
anfänglichem Sträuben nachgeben mußte. Und es
erfolgte die große Auseinandersetzung, in der Dr.
Dohrn von den Dresdener Werkstätten, und Herr
Bertsch im Namen der Münchener »Werkstätten für

Wohnungseinrichtung« dem Vorstand seine Sünden
vorhielten, den Austritt der durch sie vertretenen
Firmen erklärten, dem sich auch die Nymphenburger
Königliche Porzellanmanufaktur anschloß, und die
Gründung einer neuen Vereinigung ankündigten, der
neben den soeben genannten eine Anzahl weiterer
Firmen beitreten werden.

Es stellt sich demnach die gegenwärtige Situation
so dar, daß dem »Fachverband« ein neuer deutscher
Kunstgewerbebund gegenübertreten wird, ganz ähn-
lich, wie seit 1903 der »Allgemeinen deutschen Kunst-
genossenschaft« der »Deutsche Künstlerbund« gegen-
übersteht. Damit ist die Sachlage geklärt. Dort be-
finden sich die Vertreter des alten Stil-Schlendrians,
der uns in der internationalen Konkurrenz so schwer
schädigt — hier die Vorkämpfer der frischen und
zukunftsstarken Kräfte, die unser Kunsthandwerk be-
reits heute wieder in die erste Reihe geführt haben,
denen wir die deutschen Erfolge der letzten Ausstel-
lungen verdanken. Es scheiden sich zwei Parteien
— das ist der faktische und praktische Erfolg des »Falles
Muthesius«! Die eine lugt vorsichtig nach den
»Wünschen des Publikums« aus, denen sie zu dienen
sucht, statt sie zu lenken, tritt mit übergroßer »Dul-
dung« für alle diejenigen ein, die unter dem Vor-
wand, die »alte Meisterkunst« zu üben, ein behäbiges
Trotten in den ausgefahrenen Gleisen der historischen
Stile und ein bequemes Ausruhen im Altgewohnten
einer vorwärtsweisenden Entwicklung vorziehen,
kämpft fanatisch gegen die vernünftigen Reformen
und verklagt deren Vertreter als Beleidiger. Die an-
dere Partei strebt nach einer Steigerung der gewerb-
lichen Arbeit in Deutschland, nach einer Kultivierung
des Geschmackes, nach einer neuen deutschen Lebens-
kulfur, strebt aus dem Schlendrian der alten Stile
heraus und sucht eine Formensprache, die der Aus-
druck unseres Wesens ist, kurz, sie vertritt mit leiden-
schaftlicher Überzeugung ein Kunsthandwerk, über
dessen Wegen die drei Worte leuchten, die in der
Industriehalle der Dresdener Ausstellung 1906 von
der Wand her grüßten: »Die Schönheit des soliden
Materials!« — »Die Schönheit der gediegenen Arbeit!«
— »Die Schönheit der reinen Zweckform!« Und der
feste Zusammenschluß, der nun erreicht ist, wird die
Anhänger des neuen Geistes im Kunsthandwerk stärker
machen als je zuvor; gerade hier, wo eine innige
Verbindung mit gewerblichen und kommerziellen Be-
triebsformen vorliegt, ist er von größerer Bedeutung
als auf dem Gebiete der freien Künste, wo schließlich
doch alles auf einzelne Individualitäten gestellt ist.
Gewiß, auch in der Partei der Reaktionäre gibt es
tüchtige Arbeiter, auf der Seite der Reformer manches
Tasten und Versagen — dennoch kann kein auf-
richtiger Freund der deutschen Kunst und des
deutschen Lebens zweifelhaft sein, welcher Gruppe
seine Sympathien gehören müssen. Es lebe die
Jugend und die Fortentwicklung, der frische Wage-
mut und die Zukunft!

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