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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Neues aus dem Alten Weimar
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NEUES AUS DEM ALTEN WEIMAR

Froriepsches
Haus in der
Bürgerschul-
straße

Aus dem Werke: Lambert & Stahl »Architektur von 1750—1850«. Verlag Ernst Wasmuth, A.-G., Berlin

sehr schwer mag es den Gebietern oft werden, unter
den Miasmen der Hofluft den reinen Atem zu be-
wahren. Auch in Weimars Höhenluft — wie Ernst
v. Wildenbruch sie nennt — können schädliche Keime
eindringen. In dieser Luft zu atmen ist, wie das
Leben überhaupt, keine Gabe, sondern eine Aufgabe.
Eine Vorzugspflicht, abgeleitet aus dem Vorzugsrecht
des Sachsen-Weimarischen Fürstenhauses.

Mit dem ersten deutschen Kaiser (den der Volks-
mund einst Wilhelm den Gerechten nennen darf) scheint
Wilhelm Ernst von Weimar eine seltene Herrscher-
tugend gemeinsam zu üben: brauchbare Männer an
ihren Platz zu stellen. Wer selbst mit Freimut be-
kennt: »Mir gefällt's nicht, aber die Gelegenheit, ein-
mal zu zeigen, was einer will, habe ich gern ge-
geben« - - der darf erwarten und beanspruchen, daß
man ihm wie einem Fürsten diene, der Freimut und
strenge Sachlichkeit verlangen und erkennen wird.
Allem versteckten Winkelwesen abhold, braucht der
Großherzog um so mehr der ernsten, treuen Berater,
als solche gegenwärtig am preußischen, am kaiser-
lichen Hofe allem Anschein nach ausgestorben sind.
Wollen wir ernstlich eine deutsche Kultur wieder
aufbauen, so kann sie heute, darüber dürften endlich
auch dem Blindesten die Augen aufgehen, nicht von
einem berliner zentralisierenden, sondern von dem de-
zentralisierenden Prinzip ausgehen. Aus unserer noch
erhaltenen kleinstaatlichen Gruppierung, die wir wohl
in Deutschland zu beklagen, wie als »Gegengewicht«

zu segnen manchmal Ursache haben, kann neuer
Segen erwachsen, wofern nur die rechte Persönlich-
keit am rechten Platze wirkt. Alle Zänkereien, Sonder-
bündeleien und Machenschaften berühren nicht den
Kern, auf den es ankommt. Ob Keßler, Klinger oder
Kalckreuth jetzt den »Bundessessel« einnehmen soll,
geht nur den Künstlerbund etwas an. Uns kümmert
das wenig. Wir wollen bauen, wo immer Bausteine
zu finden sind. In Weimar liegen Bausteine, so gut
wie anderswo. Es kommt dabei auf den magister
lapicidae, auf den Meistersteinmetzen an.

In Weimar, wohin die verdorrende Hitze des
großindustriellen Kapitalismus, der wie ein Moloch-
polyp alle Kanäle des Lebens mit seinen Saugarmen
austrocknet, noch nicht vorgedrungen ist, da kann
das alte Adelsmotto: Noblesse oblige heute eine er-
höhte, zeitgemäße Bedeutung gewinnen. Hier bleibt
es dem Fürsten vorbehalten, im Geiste großer Vor-
gänger ein Gönner und Spender zu sein. Doch der
Weg ist steinig und bisher schwer gangbar gemacht.
Mit allen Hemmnissen, die Unverstand und hohler
Oberflächenkultus, mit rasch zu Reichtum gelangtem
Stumpfsinn verbunden, dem Klaren und Wahren ent-
gegenstellen, hat jetzt ein lauterer Wille zu kämpfen.
Keines Mediceers Güte lächelt heut' der deutschen
Kunst, obgleich Unsummen bereits verbaut und ver-
bildhauert worden sind.

Da könnte Weimar schon manches tun, was anders-
wo nicht glücken will, Ein Karl-Augustisch Alter der
 
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