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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Lux, Joseph August: Die Anfänge der modernen Bewegung rund um Deutschland
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0070

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62

DIE ANFÄNGE DER MODERNEN BEWEGUNG RUND UM DEUTSCHLAND

bildeten in Deutschland noch keine Ahnung, welcher
Reichtum an künstlerischer und lokaler Eigenart, welche
Mannigfaltigkeit der Erscheinung und Urwüchsigkeit
im deutschen Volkstum vorhanden ist. Es fehlte der
Kontakt zwischen den Gebildeten mit der künst-
lerischen Produktion des eigenen Volkes. Wie die
ausländische Literatur auf dem deutschen Büchermarkt
vorherrschte, so herrschte in der Kunst und im Kunst-
handel Deutschlands die fremdländische Produktion.
Die deutschen Handwerker und die Durchschnitts-
architekten leierten die auswendig gelernten Stilformen
her, Gotik, Renaissance, Rokoko und Zopf, ge-
stohlene und zusammengebraute Ornamente, die den
Zeichnern für das Kunstgewerbe von den Gewerbe-
museen verabreicht wurden. An den Akademien, die
sich vor jeder Berührung mit dem Leben ängstlich
hüteten, wurde der romantischen Überlieferung ge-
mäß, Historienmalerei betrieben, nach der in der
Praxis kein Mensch verlangt. Die vornehmen Institute
machten brotlose Kunst, die Kunstgewerbeschulen er-
zogen Kräfte, die gewandt im Kopieren alter Stilformen
waren und keine Ahnung von dem Wesen eines wahrhaft
künstlerischen Gebildes haben. Sie waren zur völligen
Hörigkeit im Dienste eines Kunstgewerbes erzogen,
das sein Dasein aus schlecht kopierten, völlig unver-
standenen stilhistorischen Ornamenten fristete. Die
moderne Industrie, etwa auf dem Gebiet der Metall-
waren, der Lederpressung und Lederimitationen und
anderen Gebieten, machte diese Geschmacksentwicke-
lung getreulich mit. War es ein Wunder, daß in den
Zeiten eines solchen Niederganges der nationalen
Kunstproduktion der ausländische Import den deut-
schen Markt überschwemmte und daß die besseren
Läden Deutschlands englische Fabrikate, englische
Möbel, Stoffe, Bilderbücher, Tapeten, Fayencen, der
deutschen Schundindustrie vorzogen? Und daß selbst
die deutschen Gewerbemuseen englische und amerika-
nische Produkte kauften und ihren Bildersammlungen
einverleibten? So tief war die deutsche Produktion
gesunken, daß sie bei der Nachahmung ausländischer
Produkte gelandet war, und damit ihre völlige Un-
mündigkeit und Hilflosigkeit bekannte. In den Er-
ziehungs- und Kunstunterrichtsfragen in der Kleidung
und in den Umgangsformen begann man längst die
Überlegenheit der englischen Kultur zu spüren. Wer
in Deutschland eine erträgliche Figur machte, ver-
dankte sie der englischen Marke. Man darf nicht
glauben, daß es ein Austausch der Güter zwischen
zwei verwandten Nationen war. Haben etwa die
englischen Dekorateure deutsche Kunst von dem da-
maligen Stande verlangt? Oder hat das englische
Volk an Stelle seiner Körper und Geist harmonisch
entwickelnden Sportpflege etwa die öde deutsche
Turnerei eingeführt? Haben sich die großen Er-
neuerer des Kunstgewerbes etwa die Kopieranstalten,
die unsere Kunstschulen im eigentlichen Sinne waren,
zum Vorbild genommen? Oder haben sich die eng-
lischen Hausfrauen in den Fragen der Hygiene, der
Körperpflege, in den Fragen der Qualität und der
Echtheit bei den Einkäufen die Grundsätze der deut-
schen Hausfrauen, die noch völlig auf billiges Surro-

gatenwesen gerichtet sind, zunutze gemacht? Man
braucht nur die englischen und amerikanischen Witz-
blätter nachzulesen, um ein leider zutreffendes Spiegel-
bild der deutschen Zivilisation zu finden. Allerdings
hat auch Deutschland exportiert und ein bekanntes
Wort hat den deutschen Export von Gebrauchs-
artikeln gebrandmarkt. Es ist oft genug wieder-
holt worden, weshalb hier nur auf das Mißverhältnis
aufmerksam gemacht werden soll, das darin besteht,
daß ein Volk in allen Fragen der Qualität vom Aus-
lande abhängt, und dafür nichts zu geben hat als
billige Schundarbeit. Die wirtschaftliche Konsequenz
dieser Erscheinungen war mit eine der lebendigen
Triebfedern der modernen Bewegung. Wir sollten
vom Feinde lernen, Kräfte zu entwickeln und zu ge-
brauchen. Und wenn unsere eigenen Kräfte entfaltet
sind, wenn wir imstande sind, Qualität zu entwickeln
und dem Schund Einhalt zu gebieten, dürfen wir die
wirtschaftlichen Konsequenzen ziehen. Dann dürfen
wir hoffen, den heimischen Markt zu bewahren, den
Käufer der eigenen Produktion zu erhalten und, wenn
möglich, mit fremden Völkern in Wettbewerb zu treten.
Sollte das Ziel einer nationalen Kultur erreicht und
die Gefahren der englischen Invasion, wie überhaupt
der ausländischen Vorherrschaft in Geschmacksdingen
abgewendet werden, dann ist vor allem nötig, die
Bildung der Gesamtheit auf neue Grundlagen zu
stellen und im Publikum gesteigerte Ansprüche hin-
sichtlich des Geschmackes, der Echtheit und der Ge-
diegenheit zu erziehen. Das Wesen der Bildung ist
in der Qualität begründet, sie muß in der Arbeit des
Volkes, in seiner Kunst, in seinen geistigen Interessen
das Hauptziel sein. Wie weit sind unsere heutigen
Gebildeten noch von diesem Ziel entfernt? Wie weit
ist die Industrie davon noch entfernt? Die Geschichte
der modernen Bewegung, die ich in den Hauptzügen
zu schildern mir vorgenommen habe, ist nach außen
hin nicht ein gemeinsames Ringen um geistige Prin-
zipien, sondern ein Ringen mit dem Feind im eigenen
Lande, mit dem Unverständnis des Publikums, mit
der geschlossenen und wohlorganisierten Armee von
Händlern, Unternehmern, Industriellen, Fabrikanten,
die ihre alte Methode bequemer Gewinnmacherei
hartnäckig zu verteidigen suchen und endlich gegen
die zu Ehren und Würden gekommene Impotenz im
eigenen Lager. Es war ein Kampf mit ungleichen
Waffen. Hier ein Häuflein begeisterungstrunkener
Neuerer, mit nichts ausgerüstet als mit ein paar Ideen,
und dort eine festverschanzte Hochburg mit wechsel-
seitiger Versicherung materieller Interessen, auf das
äußerste entschlossen, nicht locker zu lassen. Die
Idee hat gesiegt. Der Kampf ist entschieden, aber
keineswegs beendet. Ich soll nicht vorgreifen. Denn
der Pan war früh am Tag und hat zu seiner Zeit
die Ereignisse nicht voraussehen können. Die Ent-
wicklung überraschte uns in den darauffolgenden
Jahren mit der Plötzlichkeit eines Wunders.

Einer, der die nationalen Ziele bei der Gründung
des Pan klar gesehen und ausgesprochen hat, war Alfred
Lichtwark. Bode, Woldemar v. Seidlitz und andere
standen ihm eifrig zur Seite. Den kulturellen Vor-
 
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