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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Pabst, Arthur: Technische Arbeit als Erziehungsmittel
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0092

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TECHNISCHE ARBEIT ALS ERZIEHUNGSMITTEL

daß die Prometheussage unter den Kulturlegenden eine
hervorragende Rolle spielt und sich mit einigen Ab-
weichungen bei den verschiedensten Völkern wieder-
holt. Mit dem künstlichen Gebrauche des Feuers
wurde tatsächlich eine ganz neue Kulturepoche der
Menschheitsentwickelung eingeleitet: es entstand der
Feuerherd, der Mittelpunkt der Wohnstätte, und damit
nahmen auch die geselligen Tugenden ihren Anfang.
Mit dem Brennen des Tones, mit dem Sengen, Zu-
spitzen und Härten von Hölzern und mit dem Schmieden
der Metalle begannen die eigentlich gewerblichen
Tätigkeiten. Der künstliche Gebrauch des Feuers
machte es ferner dem Menschen möglich, in kältere
Regionen vorzurücken.

Ihre Ursachen haben die gewerblichen Tätigkeiten
im letzten Grunde zwar immer in der Fürsorge für
die Bedürfnisse des Lebens, aber diese Sorge ist nicht
das ausschließliche, vielleicht nicht einmal das ursprüng-
liche Motiv aller Kulturarbeit, denn neben Hunger
und Liebe gehört die Eitelkeit zu den Grundeigen-
schaften der menschlichen Natur. Schon der Mensch der
Urzeit hat sich mit roter Erde bemalt und mit Feuer-
steinmesserchen tätowiert, wie aus den Funden der
Steinzeit nachweisbar ist. _v Auch heute noch zeigen
uns die Naturvölker dieselben Erscheinungen, und mit
dem Bedürfnis des Sichschmückens, das zunächst nur
eine Auszeichnung vor anderen seinesgleichen zum
Zwecke hatte, vermischten sich bald religiöse Motive.
»Farben auch, den Leib zu malen, gebt ihm in die
Hand, daß er rötlich möge strahlen in der Seelen
Land«, wie es im Klagelied um den toten Indianer-
häuptling heißt. Auf Renntiergeweihen, die sich in
Höhlen- und Pfahlbaufunden erhalten haben, findet
man die wichtigsten Typen der Tierwelt vom Ende
der Eiszeit bildlich dargestellt, und zwar in Zeich-
nungen und Schnitzereien, die eine erstaunliche Kunst-
fertigkeit erkennen lassen (Fig. 14 u. 15). Der Spieltrieb
des Menschen in Verbindung mit seinem Bedürfnis,
die Eitelkeit durch irgend welche körperliche Aus-
zeichnung zu befriedigen, weiterhin auch religiöse
Motive haben somit die ersten Anfänge der Plastik
und der Malerei hervorgerufen. Muscheln, Korallen,
Bernstein, Schneckengehäuse und Zähne sind nebst
Kristallen und anderen Stoffen als Schmuck verwendet
worden (Fig. 16—18). Jedenfalls[sind die Schmuckstücke
viel älter als die Kleidung, wie auch heute noch von
Naturvölkern berichtet wird, deren einziges Kleidungs-
stück aus irgend einem Schmuckgegenstand besteht.
Das Bedürfnis, Schmuck zu besitzen, führte zum
Tauschgeschäft, und die allmähliche Scheidung von
Schmuck, Kleidung und Tauschmitteln entspricht der
Entwickelung von Gerät, Waffe und Werkzeug.
Während das ursprüngliche Gerät Waffe und Werk-
zeug zugleich war, bilden späterhin der Ackerbauer
und Fischer ihre Geräte, der Jäger und Krieger ihre
Waffen und der Handwerker und Künstler ihre Werk-
zeuge für besondere Zwecke aus (Fig. 19—26).

Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen,
wie die Kulturentwickelung der Menschheit mit der
Erfindung und Vervollkommnung der Werkzeuge
Hand in Hand gegangen ist. Der Gebrauch von

Werkzeugen gab aber auch den Anlaß zu einer zu-
nächst mehr vom Zufall abhängigen Heranbildung
des jüngeren Geschlechtes durch die Erwachsenen,
die sich allmählich zu einer planmäßigen Unterweisung
und Erziehung entwickelte. Somit stehen die An-
fänge der Erziehung mit der Werkzeugentwickelung
im direkten Zusammenhange.

Das Werkzeug gab ferner dem Menschen eine
größere Herrschaft über die Natur und versetzte ihn
in die Möglichkeit, ihre Produkte zu seinem Vorteile
auszubeuten. Diese Herrschaft wuchs in dem Maße,
in dem der Mensch seine Werkzeuge vervollkommnete.
Auch die Maschinen, die den heutigen Kulturzustand
herbeigeführt haben, sowie die wissenschaftlichen In-
strumente, mit denen der Forscher arbeitet, sind nichts
anderes als verbesserte und verfeinerte Werkzeuge; sie
dienen in der vollkommenen Form, in der wir sie
kennen, nicht nur der menschlichen Hand zur Er-
höhung ihrer Leistungsfähigkeit, sondern auch den
übrigen Organen des Menschen. Mikroskop und
Fernrohr unterstützen das Auge, das Telephon erhöht
die Leistungsfähigkeit des Ohres, der Telegraph er-
spart uns die Ortsveränderungen, die wir ohne ihn
zum Zwecke der Verständigung untereinander aus-
führen müßten usw. Alles dies zusammengenommen,
muß man wohl die Richtigkeit der Behauptung zu-
geben, die Edmund Reitlinger mit den Worten aus-
sprach: »Die ganze Menschengeschichte löst sich, genau
geprüft, zuletzt in die Geschichte der Erfindung bes-
serer Werkzeuge auf.«

^ \ Aber noch viel überzeugender tritt uns die Bedeu-
tung des Werkzeuges für die Kulturentwickelung ent-
gegen, wenn wir von dem schon angedeuteten Gedanken
ausgehen, daß wir dem Urmenschen nicht soviel In-
telligenz zuschreiben dürfen, als zur bewußten Erfin-
dung der ersten Werkzeuge notwendig war. Die
Werkzeuge sind ebenso wie die Sprache in gewissem
Sinne nicht die Produkte der Intelligenz des Menschen,
sondern sie haben diese Intelligenz erst geschaffen.
Indem der Mensch mit den ersten Werkzeugen, die er
seinen eigenen Organen nachbildete, deren Wirksam-
keit verstärkte und sich damit eine größere Leistungs-
fähigkeit sicherte, wirkte zugleich der Gebrauch der
Werkzeuge unmittelbar auf den Menschen zurück.
Mit dem Werkzeuge und durch das Werkzeug hat
der Mensch das Arbeiten gelernt. Das Werkzeug hat
ihn umgebildet, und sobald es eine gewisse Voll-
kommenheit erreicht hatte, beherrschte der Mensch
nicht mehr das Gebilde seiner Hand, sondern dieses
beherrschte ihn. Durch den Gebrauch des Werkzeuges
wurde die Hand nicht nur geschont, sondern auch
geübt und verfeinert. Die geübtere Hand konnte sich
ein besseres Werkzeug schaffen, und dieses vollkom-
menere Werkzeug verlangte wiederum eine geschicktere
Hand. So potenzierten sich gewissermaßen diese
beiden Faktoren biszur Erreichung von Höchstleistungen,
wie sie in der Hand und im Werkzeuge des Operateurs,
des Künstlers, des Naturforschers, des Feinmechanikers
zu bewundern sind. Der Mechaniker z. B., der mit
den feinsten Meßinstrumenten zu arbeiten gewohnt
ist, kann seine Hand zu einer so hohen Feinfühlig-
 
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