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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Pabst, Arthur: Technische Arbeit als Erziehungsmittel
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0095

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TECHNISCHE ARBEIT ALS ERZIEHUNGSMITTEL

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die Fertigkeiten, die ein geschickter Techniker ausübt,
sowie alle die mehr oder minder künstlichen Ver-
richtungen des täglichen Lebens, die wir mit unseren
Händen mühelos ausführen, Verkettungen in der Tätig-
keit unserer Nerven und Hirnzellen. Nicht die Hand
arbeitet mit dem Werkzeug, sondern der menschliche
Geist, eine Wahrheit, die wohl Lessing ahnte, als er
fragte, ob Raffael ein großer Maler geworden wäre,
wenn er ohne Hände zur Welt gekommen wäre.
Erasmus Darwin, der Großvater des berühmten Darwin,
machte die feine Bemerkung, daß man beim Drechseln
anfangs jede Bewegung der Hand wolle, bis endlich
diese Handlungen derartig mit der Wirkung sich ver-
schmelzen, daß der Wille in der Schneide des Meißels
zu sitzen scheine, das heißt: daß der Arbeitende dem

lernt Hans nimmermehr«. Nur wenn die technischen
Übungen schon frühzeitig in der Jugend begonnen
werden, läßt sich ein solcher Grad von Geläufigkeit
und Sicherheit bei ihrer Ausführung erreichen, wie er
zu guten technischen Leistungen erforderlich ist.

Gegen die Forderung der Aufnahme von technischen
Übungen in unser Erziehungssystem könnte vielleicht
geltend gemacht werden, daß in unserer bisherigen Er-
ziehung derartige Übungen gefehlt haben und daß trotz-
dem hohe Geistesentwickelung und gute technische
Leistungen erreicht worden sind. Es muß aber zu-
gegeben werden, daß in früherer Zeit das, was die
schulmäßige Erziehung nicht bieten konnte, durch
die Erziehung im Hause und durch das Leben reich-
lich ersetzt wurde. Unter den früheren Verhältnissen

Fig. 27. Mittelklasse einer amerikanischen Volksschule bei der Papparbeit

Werkzeuge unbewußt stets die richtige Stellung gibt.
Jede Muskelübung legt eben gewissermaßen ein Er-
innerungsbild in der Hirnrinde nieder und wird da-
durch zu einem dauernden Gewinn für die geistige
Entwicklung.

Die Einwirkung der Muskeltätigkeit auf die Gehirn-
zentren, mit anderen Worten also: die Ausbildung des
Gehirns durch Muskelübungen, kann aber nur im
jugendlichen Alter stattfinden, da sich die Gehirn-
zentren etwa in der Zeit bis zum 14. Lebensjahre
entwickeln und im höheren Lebensalter nicht mehr
den Grad von Vollkommenheit erreichen können, der
sie zu besonderen Leistungen befähigt. Im Grunde
genommen ist dies eine uralte Erfahrung, die z. B.
bei der Erlernung von musikalischen Fertigkeiten all-
gemein beachtet und im Volksmund durch das Sprich-
wort ausgedrückt wird: »Was Hänschen nicht lernt,

hatten die Kinder Anteil an der technischen Arbeit
und gewannen dadurch einen Einblick in die Pro-
zesse, die sich bei der Erzeugung von wirtschaftlichen
Gütern abspielen. Der Knabe ging dem Vater bei
den gewerblichen Arbeiten an die Hand, das Mädchen
half der Mutter in der Hauswirtschaft. Dabei er-
langten sie nicht nur allerlei Kenntnisse und Fertig-
keiten in den mancherlei Verrichtungen des gewerblichen
und des täglichen Lebens, sondern es lag in dieser
Art der Tätigkeit auch eine fortwährende Anregung
zur Beobachtung und zum Nachdenken über die ver-
schiedenen Arbeitsprozesse, die sich tagtäglich vor
ihren Augen abspielten. Sie lernten die Rohmaterialien
kennen und erlangten eine gewisse Übung in der
Handhabung verschiedener Werkzeuge. Ihr praktischer
Blick wurde geübt und die Fähigkeit in ihnen ent-
wickelt, über Ursache und Wirkung nachzudenken.
 
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