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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0186

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

ZEIT- UND KULTURFRAGEN

Vom »Todschweigen«. Die Tagespresse ladet so
oft die Sünde auf sich, den Fortschritt, originelle Künstler,
geniale Menschen aus kleinlichen Motiven totzuschweigen,
daß man rückschauend zweifeln mag, ob sie wirklich dem
wahren Fortschritte dient; sie schweigt, wo wenige Worte
unberechenbaren Nutzen, unschätzbare Förderung bringen
könnten. Aber reden, schwatzen tut sie, wenn es sich
darum handelt, »unter dem Strich« das Sensationsbedürfnis
ihrer Leser zu befriedigen. Durch alle Zeitungen ging
unter der Spitzmarke 'Das Gipsporträt« ein gleichlautender
Bericht über »eine neue Mode«, die seit einigen Wochen
das »elegante London« beschäftigt und nur zu bald das
»elegante Berlin« (wo ist es?) bis zum Überdruß »be-
schäftigen« wird. »Diese kleinen Oipsporträts, die nur
sechs Zoll groß sind, erfordern eine Sitzung von 45 Minuten,
die dann vollkommen ausreicht, damit der Künstler bis ins
kleinste Detail sein Modell wiedergebe. Die prachtvollen
Hüte der eleganten Damen, die Federn und Blumen, die
Spitzen des Kleides, ja selbst die Falten des Handschuhs
werden in täuschender Naturtreue in das weiche weiße
Material eingegraben und ersetzen dem Freunde das Por-
trät. Die Kunsthändler haben sich dieser neuen Leiden-
schaft schnell entschlossen angenommen, und da die kleinen
Oipsporträts verhältnismäßig sehr billig sind — für 10.50 M.
kann man das Vergnügen genießen, sich plastisch verewigt
zu sehen, — hat diese Mode sich rasch verbreitet und
viele Anhänger gefunden.« — Die Zeitungen wissen nur
zu gut, was sie mit solchen halb tadelnden halb empfehlen-
den »Entrefilets« anrichten, welche ertötende Unkultur und
Unkunst sie da heraufbeschwören — aber lieber schweigen
sie Lichtwarks und anderer langjährige Bemühungen um
die Wiederbelebung der Plakette tot, als daß sie dem »ele-
ganten« Berlin oder Hannover eine »wahre Leidenschaft«
des eleganten London vorenthielten. — Also, gipsen wir!
Schattenseiten der Kultur. Werner Sombart beklagt,
daß uns die Kultur bisher noch nicht »froher, gemütsreicher,
tiefer und besser« gemacht habe: »ein großer Aufwand
schmählich ist vertan«. Es ist auch ziemlich naiv, das
alles von der Kultur zu erwarten. Ist nicht Kultur erst
ein Ausdruck unseres Frohsinnes, Getnütsreichtums usw.,
ein Spiegelbild unserer Tiefe und Besserung? Wenn wir
keine persönlichen Beziehungen zu unserer Umgebung
haben, liegt es nicht daran, daß wir unserer Umgebung
keine Kultur mitzuteilen hatten? Genau vor 100 Jahren
jammerten die Romantiker, die Schlegel und Novalis, und
später die Sand und Auerbach dasselbe Lied. Wer aber
von Techniken und Erfindungen erwartet, daß sie für unser
Glück, unsere Zufriedenheit, unsere Tiefe »etwas leisten«
sollen, etwas anderes als Hindernisse zu beseitigen, der
befindet sich mit Werner Sombart auf dem Wege zum
schwächlichen Ästhetentum. Wir aber wollen das Leben,
die Entwickelung nehmen, wie sie sind, und aus ihnen zu
machen suchen, was zu machen ist. Uns ist vor dem
»profanum vulgus«, »der Masse«, nicht bange und wir
wollen in ihr die gesammelte Kraft ehren und »kultivieren«.
Studentenbuden. Am 15. Mai war der Termin für
die Teilnahme an dem Wettbewerb »Studentenkunst:, den
das Württembergische Landesgewerbemuseum in Stuttgart
ausgeschrieben hatte, abgelaufen. Man kann wohl auf das
künstlerische Ergebnis des Wettbewerbes gespannt sein,
wenn man sich auch nicht verhehlen darf, daß der Kern
der ganzen Frage eigentlich nicht berührt wurde. Es ist

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ja wohl gut, wenn die entsetzlichen Bierzirkel, Wappen,
Kommersbücher usw. einer besseren Kunst weichen müssen,
man übersieht aber leicht, daß man mit diesen äußerlichen
Zeichen studentischer Unkultur die traurigen Zustände nicht
aus der Welt schaffen wird. Das Grundübel liegt immer
in dem Unpersönlichen eines ganz zwecklosen Komments,
in den unwürdigen deutschen Trinksitten und in dem
Mangel jeder Wohnungskultur. Eine künstlerisch ausge-
stattete Kneipe ist ein lächerliches Unding, wenn ihr als
Heim die zur Schlafstelle herabgesunkene trostlos öde
Studentenbude das Gleichgewicht halten soll. Hier müßte
man zu bessern anfangen und an den Studenten selbst.

STAATLICHER DENKMALSCHUTZ

Dresden. Die Erste Kammer hat das Gesetz gegen
die Verunstaltung von Stadt und Land durch Reklame
heute angenommen.

Berlin. Gegen den Preußischen Erlaß betr. Bauliche
Verunstaltung in Stadt und Land polemisiert /. A.Lux im
zehnten Heft der »Hilfe«. Er glaubt, daß z. B. die Be-
stimmung »bei der Lösung einer Aufgabe von hoher künst-
lerischer Bedeutung muß die Beherrschung der Stilformen
als unerläßliche Voraussetzung gelten« geeignet sei, die
historische Stilimitation, die eben beim Haupttor hinaus-
getrieben wurde, durch ein Hinterpförtchen wieder herein-
zuführen. Wir sind der Meinung, daß die Beherrschung
der Stilformen mindestens in dem Grade unbedingt ge-
fordert werden muß, daß eine Versündigung gegen den
Geist des Kunstwerkes durch den Konservator, Restaurator
oder Vollender ausgeschlossen wäre. Sehr notwendig er-
scheint uns besonders die Kenntnis der alten Handwerks-
techniken. Was da durch die Restauratoren verbatzt wird,
ist kaum zu glauben! Notgedrungen wählt man in Bayern
noch das kleinere Übel: Man läßt z. B. mittelalterliche
Holzplastiken einfach verfallen, weil niemand zu finden
ist, der die alten Handvergolder-Techniken genügend be-
herrscht.

Der Wiederherstellungsteufel. Die Türme der
gotischen Kirche in Kulmbach, die originellen Wahrzeichen
dieser Stadt, sind manchen Leuten nicht hoch genug und
die »Instanzen« haben die neuen Pläne schon genehmigt.
— So ist es: jede Stadt will die höchsten Türme haben.

AUSSTELLUNGEN

Berlin. Der Lyceumklub in Berlin plant vom 20. Januar
bis 20. März 1909 eine internationale (!) Ausstellung für
Volkskunst, in der die Frauenarbeit eine besondere Berück-
sichtigung erhalten soll. Die Ausstellung möchte die
Volkskunst in ihrer geschichtlichen Entwickelung vorführen
und feststellen, was von dem Schatz überkommener Formen
und künstlerischen Empfindens alter Zeit sich in die Gegen-
wart gerettet hat. Man will ermitteln wie weit, auf dem
»national differenzierten Boden««, das Kunstwerk von heute
aus den ererbten, echten volkstümlichen Anschauungen
Anregung für die Produktion der Gegenwart finden kann.
Als Generalsekretär fungiert Herr Wolf Wertheim, und da
die Ausstellung in den Räumen des Hauses Wertheim,
Voßstraße 32, stattfinden soll, so kann man wohl annehmen,
daß die ausgedehnten Beziehungen der Firma Wertheim
dem großzügigen Unternehmen in ersprießlicher Weise
nutzbar gemacht werden können. Die Anmeldungen haben
bis zum 1. Oktober 1908, die Einlieferungen in der Zeit
vom 28. Dezember bis 6. Januar zu erfolgen.

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