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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Pudor, Heinrich: J. M. Olbrich: (geb. 12. Dezember 1867 in Troppau, gest. 8. August 1908 in Düsseldorf)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0245

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J. M. OLBRICH

dem modernen Problem der Linie. Manche der Olbrich-
schen Außenarchitekturen wirken nur als Zeichnungen, als
Linie. Das Spielhaus in Darmstadt scheint nur Giebel zu
sein, es fehlt das Haus, und richtig ist auf dem Titelblatt
des Holzamerschen Buches das Spielhaus als Giebel wieder-
gegeben und ein Haus noch daruntergezeichnet. Ähnlich
bei Olbrichs Entwurf für die Hauptfassade des neuen
Bahnhofs in Basel: hier aber erscheint die Giebelanlage
passend, weil es sich nur um einen Hallenbau handelt,
nicht um einen Stockwerkenbau.

Im übrigen finden wir bei Olbrichs Außenarchitekturen
da, wo er noch nicht die Linie als Prinzip durchführt, einen
Strich ins Kompakte, so bei dem Haus Keller. Die Linie
aber als architektonisches Prinzip1) wendet er vornehmlich
am Giebel an und verfällt hier oft wieder in Biedermeier-
Reminiszenzen, so bei den drei einfachen Häusern in
Darmstadt, bei dem originellen Predigerhaus in Darmstadt,
bei dem »blauen Haus«.

So vielfältig, so schwankend, so zerrissen nun aber
auch die Natur Olbrichs ist, ein großes Talent darf man
ihm nicht aberkennen, am wenigsten auf innenarchitek-
tonischem Gebiete. Davon legt beredtes Zeugnis ab die
Einrichtung des Hauses Christiansen: das originelle, dabei
praktische Herrenzimmer ist geradezu eine innenarchitek-
tonische Bravourleistung. Von Talent sprudelnde originelle
Ideen findet man auch in der zusammen mit Prof. Hans
Christiansen entworfenen Halle des »Hauses in Rosen«.
Aber auch hier tritt die Zwiespältigkeit und Vielfältigkeit
der wirksam gewesenen Einflüsse und Reminiszenzen neben
dem ursprünglichen Talent zutage. Olbrich erinnert darin
einigermaßen an Pankok. Und in eben diesem Sinne, in
dem Hang zum rein Dekorativen, und zur Übertreibung
der dekorativen Werte ist Olbrich Wiener bis zum letzten
Augenblick geblieben. Sein Haus in Darmstadt ebenso
wie sein Hochzeitsturm der diesjährigen Ausstellung zeugen
davon. Er führte gewissermaßen die Note des lebens-
lustigen Wiener Salontones in die Architektur ein. Aber
zugleich haftete ihm immer etwas Vornehmes an. Seine
Kunst hatte keinerlei sozialen Beigeschmack. Und auf
diesem Gebiete würde er uns niemals etwas Großes ge-
geben haben. Aber wenn es darauf ankam, einen Schloß-

pavillon oder das Boudoir einer Komtesse zu entwerfen,
war Olbrich der rechte Mann. Ich erinnere z. B. an den
Gemäldesaal für ein vornehmes Privathaus, den Olbrich
für die Kunsthalle der Mannheimer Jubiläumsausstellung
des Jahres 1907 entworfen hatte. Das war eine kunst-
aristokratische Leistung echt Olbrichschen Geblütes.

In den Arbeiten der erwähnten Ausstellung Mannheim

1907 hat das Olbrichsche Talent die glänzendsten Proben
seiner Leistungsfähigkeit gegeben. Gleich der erste von
ihm entworfene Raum der Kunsthalle war ein Meisterstück
der Innenkunst, in den Farben fein und stimmungsvoll ab-
getönt. Durch die bemalten Glasfenster, deren Farbe trefflich
zu den Möbeln harmonierte, trat ein gedämpftes Licht ein,
unterstützt durch ovale Fenster höher hinauf. Jedes einzelne
der Möbel war ein Meisterwerk an Geschmack und Material
und Ausführung und vor allem war jedes für die betreffende
Stelle dieses achteckigen Raumes eigens entworfen und
zum Teil organisch mit ihm verbunden.

Diese Räume der Mannheimer Kunsthalle waren die
reifsten Arbeiten, die wir von Olbrich gesehen haben, denen
gegenüber die diesjährigen der Hessischen Landesausstellung

1908 matt wirkten. Der vielbesprochene Hochzeitsturm, diese
zum Himmel emporgestreckte Hand, war mehr eine geist-
reiche Idee, als eine künstlerische Architektur, abgesehen
davon, daß er den Farben nach Olbrichs schon erwähnte
Verdienste bestätigte. Grau und farblos war dagegen das
Gebäude für freie Kunst derselben Ausstellung, das auch
der allgemeinen Anlage nach etwas zusammengestoppelt
war. Und in den Innenräumen dieser Ausstellung, soweit
sie von Olbrich herrührten, zeigte er schon deutlich die
kommende Erschöpfung, der sein Körper erlegen ist. Aber
das Talent hat man ihm niemals absprechen können. Es
steckte zweifellos etwas Genialisches in ihm. Das zeigte
sich schon darin, wie er die Tradition und Konvention
über Bord warf und die von ihm vertretenen Prinzipien
rücksichtslos bis hart an die Grenze des Bizarren durch-
führte. Und sein größtes Verdienst bleibt es, daß er der
Farbe in der Außen- und Innenarchitektur wieder mehr
Geltung verschafft hat.

1) Olbrichs Architektur ist in drei Prachtbänden in
Folio bei Ernst Wasmuth A.-G. in Berlin erschienen.

Gegenbeispiele aus der heutigen Studentenkunst-Industrie
 
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