höchsten Maß eindringliche Fragen. Fragen an das tiefste Gewissen
eines jeden: wie würde bei dir die Antwort lauten, was müßtest
also du, gerade du tun? Auch kein Genie kann das Sittliche in
uns senkeu, das nicht in uns liegt. Aber den Drang nach ihm
zu erregen, daß er zur Krast wird, die den Schutt von den Quellen
räumt, dazu hat diese Kunst für Tausende beigetragen, wie keine sonst.
Und wenn er heute auch da wieder durch unsere Dichtung bricht, wo
srüher Staatsaktionen, Rührsachen und Jntrigen so ziemlich uneinge-
schränkt spielten, so hat nach Hebbel keiner dasür so vieles getan,
wie er.
Das Größte, was Jbsen geschasfen hat, ist Heimatskunst, zum
überzeugendsten Beispiel dasür, daß Bodenwüchsiges von dem kleinsten
Fleckcheu her über die Erde schatten kann. Jn Jbsens Adern floß aber
so viel deutsches wie norwegisches Blut. Jn Dresden und München
hat er viel gelebt, der große Krieg half, ihn uns zu gewinnen, wie
er wuchs, fühlte er sich als Pangermane. Mit denen im Norden haben
wir ihn verloren, mit denen im Norden behalten wir ihn. Es wird
ja immer eine Kunst geben, die den großen Kindern die Zeit ver-
treibt und die müden Erwachsenen in die Träume schläfert. Aber
keinem, der gestern noch lebte, danken wir mehr als Jbsen von der
Kunst, die durch den Ernst sroh macht, weil sie zum Siege stärkt. A
Ibsen als LZenker
Wir haben Mühe, uns in eine Zeit zu versetzen, in der Dichter,
Musiker, Denker und Gelehrte noch nicht als scharf geschiedene und
kaum verwandte Kategorien betrachtet wurden. Die allmählich er-
folgte Scheidung entsprach vielleicht mehr unserm beschränkten Aus-
uahmebedürsnis und dem bei der wachsenden Fülle des Stoffes immer
dringenderen Verlangen nach übersichtlicher Gliederung, als den Tat-
sachen. Was aber ist schließlich wichtiger: daß ein Schafsender im
ganzen Umfang seiner Bedeutung zur Geltung komme, oder daß der
Einzelne im Publikum wisse, in welche Rubrik er den großen Mann
zu zwängen habe? Wie bitteres Unrecht dem so Mißhandelten durch
solche kurzsichtige Gewaltsamkeit geschieht, hat man an Wagner gesehn:
von dem Musiker wollteu die Dichter, vom Philologen die Musiker,
vom Dichter die Philologen nichts wissen. Und ging es Jbsen etwa
besser? Oder hat man seine Bedeutung vielleicht erschöpft, wenn man
die Quellen seiner Dramen untersucht, ihre Technik preist und den
Symbolismus belächelt?
Es sei darum erlaubt, einer Einseitigkeit eine andere entgegen-
zusetzen. Bom Dichter wurde schon viel geredet: nun sei der Versuch
gemacht, hinter der individuellen, konkreten Gestaltung die abstrakten
Gedankenströmungen allgemeiner Art zu verfolgen. Jbsen wollte kein
Tendenzdichter sein, das heißt doch: er wollte nicht aus einer Theorie
und ihr zuliebe einen individuellen Konflikt hervorgehn lassen. Er
ging vielmehr von der einzelnen Situation, dem bestimmten Menschen-
leben und seinen Beziehungen aus und kam dann ungewollt, sast
widerstrebend bei der Abstraktion an, vor der er Halt machte. Jch
möchte nun einmal den Weg umgekehrt betreten und darzustellen ver-
! 276 Runstwart XIX, i.8
eines jeden: wie würde bei dir die Antwort lauten, was müßtest
also du, gerade du tun? Auch kein Genie kann das Sittliche in
uns senkeu, das nicht in uns liegt. Aber den Drang nach ihm
zu erregen, daß er zur Krast wird, die den Schutt von den Quellen
räumt, dazu hat diese Kunst für Tausende beigetragen, wie keine sonst.
Und wenn er heute auch da wieder durch unsere Dichtung bricht, wo
srüher Staatsaktionen, Rührsachen und Jntrigen so ziemlich uneinge-
schränkt spielten, so hat nach Hebbel keiner dasür so vieles getan,
wie er.
Das Größte, was Jbsen geschasfen hat, ist Heimatskunst, zum
überzeugendsten Beispiel dasür, daß Bodenwüchsiges von dem kleinsten
Fleckcheu her über die Erde schatten kann. Jn Jbsens Adern floß aber
so viel deutsches wie norwegisches Blut. Jn Dresden und München
hat er viel gelebt, der große Krieg half, ihn uns zu gewinnen, wie
er wuchs, fühlte er sich als Pangermane. Mit denen im Norden haben
wir ihn verloren, mit denen im Norden behalten wir ihn. Es wird
ja immer eine Kunst geben, die den großen Kindern die Zeit ver-
treibt und die müden Erwachsenen in die Träume schläfert. Aber
keinem, der gestern noch lebte, danken wir mehr als Jbsen von der
Kunst, die durch den Ernst sroh macht, weil sie zum Siege stärkt. A
Ibsen als LZenker
Wir haben Mühe, uns in eine Zeit zu versetzen, in der Dichter,
Musiker, Denker und Gelehrte noch nicht als scharf geschiedene und
kaum verwandte Kategorien betrachtet wurden. Die allmählich er-
folgte Scheidung entsprach vielleicht mehr unserm beschränkten Aus-
uahmebedürsnis und dem bei der wachsenden Fülle des Stoffes immer
dringenderen Verlangen nach übersichtlicher Gliederung, als den Tat-
sachen. Was aber ist schließlich wichtiger: daß ein Schafsender im
ganzen Umfang seiner Bedeutung zur Geltung komme, oder daß der
Einzelne im Publikum wisse, in welche Rubrik er den großen Mann
zu zwängen habe? Wie bitteres Unrecht dem so Mißhandelten durch
solche kurzsichtige Gewaltsamkeit geschieht, hat man an Wagner gesehn:
von dem Musiker wollteu die Dichter, vom Philologen die Musiker,
vom Dichter die Philologen nichts wissen. Und ging es Jbsen etwa
besser? Oder hat man seine Bedeutung vielleicht erschöpft, wenn man
die Quellen seiner Dramen untersucht, ihre Technik preist und den
Symbolismus belächelt?
Es sei darum erlaubt, einer Einseitigkeit eine andere entgegen-
zusetzen. Bom Dichter wurde schon viel geredet: nun sei der Versuch
gemacht, hinter der individuellen, konkreten Gestaltung die abstrakten
Gedankenströmungen allgemeiner Art zu verfolgen. Jbsen wollte kein
Tendenzdichter sein, das heißt doch: er wollte nicht aus einer Theorie
und ihr zuliebe einen individuellen Konflikt hervorgehn lassen. Er
ging vielmehr von der einzelnen Situation, dem bestimmten Menschen-
leben und seinen Beziehungen aus und kam dann ungewollt, sast
widerstrebend bei der Abstraktion an, vor der er Halt machte. Jch
möchte nun einmal den Weg umgekehrt betreten und darzustellen ver-
! 276 Runstwart XIX, i.8