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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,2.1906

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Heft 18 (2. Juniheft 1906)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8629#0350

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festgebissen hat. Kurz: treten Sie auf, als ob Sie gar nicht ahnten, daß ein
Widerstand existiert. Und wieviel Lebenskrast trauen Sie wohl den Atten-
taten Jhrer Widersa-cher zu? Jn früheren Zeiten, wenn ich nrorgens einen
Angriff auf mich las, dachte ich: Jetzt bin ich doch vernichtet! Jetzt kann
ich mich nie wieder erheben! Jch habe mich doch wieder erhoben. Kein
Mensch denkt mehr daran, was geschrieben wurde, und ich selbst habe es
längst vergessen. Also, machen Sie sich nur nicht gemein mit allerhand Pack
und dergleichen. Fangen Sie eine neue Reihe von Vorlesungen an, unbeirrt,
unerschütterlich, mit einer irritierenden Gemütsruhe, mit vergnügt abferti-
gender Geringschätzung für alles, was zur Rechten und zur Linken zusammen-
kracht. Glauben Sie, die Wurmstichigkeit wird widerstehen können?

's. 72.)

(Vers im Drama) Sie meinen, daß mein Schauspiel in Versen
geschrieben sein müßte, und daß es dadurch gewonnen hätte. Darin muß
ich Jhnen widersprechen, denn das Stück ist, wie Sie bemerkt haben werden,
in einer Form angelegt, so realistisch wie nur möglich: die Jllusion der
Wirklichkeit war es, was ich erzeugen wollte. Jch wollte im Leser den
Eindruck hervorrusen, daß das, was er lese, ein wirkliches Geschehnis sei.
Würde ich den Vers angewandt haben, so hätte ich damit meiner eigenen Ab-
sicht und der Aufgabe, die ich mir gestellt habe, entgegengearbeitet. Die vielen
alltäglichen und unbedeutenden Charaktere, die ich vorsätzlich in das Stück
gebracht habe, wären verwischt und ineinandergemengt worden, wenn ich
sie allesamt in rhythmischem Takt hätte reden lassen. Wir leben nicht mehr
in Shakesperes Zeit, und in den Kreisen der Bildhauer redet man nachgerade
schon davon, die Statuen mit natürlichen Farben zu bemalen. Jn dieser
Frage läßt sich vieles pro und kontra sagen. Jch möchte die Venus von
Milo nicht bemalt haben, aber einen Negerkopf möchte ich lieber in schwarzem
als in weißem Marmor ausgeführt sehen. Jm großen ganzen muß die
sprachliche Form sich nach dem Grad von Jdealität richten, der über der
Darstellung ruht. Mein neues Schauspiel ist keine Tragödie im Sinne der
älteren Zeit; was ich habe schildern wollen, das sind Menschen, und gerade
deshalb habe ich sie nicht mit „Götterzungen" reden lassen. (s5. st 7H.)

(Mehrheiten und M in d e r h e i t e n) Es bestätigt sich mir mehr
und mehr, daß etwas Demoralisierendes in der Beschäftigung mit Politik
und in dem Anschluß an Parteien liegt. Unter keinen Umstünden möchte
ich mich je einer Partei anschließen, die die Majorität auf ihrer Seite hat.
Björnson sagt: die Majorität hat immer recht. Und als praktischer Politiker
muß man das wohl sagen. Jch dagegen muß notwendigerweise sagen: die
Minorität hat immer recht. Selbstverständlich denke ich nicht au die Minoritüt
von Stagnationsmännern, welche von der großen Mittelpartei, die man bei
uns die Liberalen nennt, achteraus gesegelt sind; sondern ich meine die Minori-
tät, die da vorangeht, wo die Mehrheit noch nicht hingelangt ist. Jch meine,
das Recht hat der, der am innigsten mit der Zukunst im Bunde ist.

(3. j. 82.)

Sie haben natürlich recht, wenn Sie sagen, daß wir alle für die Ver-
Lreitung unserer Ansichten wirken müssen. Aber ich bleibe dabei, daß
ein geistiger Vorpostenkämpfer nie eine Mehrheit um sich sammeln kann.
Jn zehn Jahren steht vielleicht die Mehrheit auf dem Standpunkt, auf dem ^
der Doktor Stockmann bei der Volksversammlung stand. Aber in diesen i
zehn Jahren ist der Doktor ja nicht stille gestanden; er hat abermals einen ^

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