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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,2.1906

DOI Heft:
Heft 19 (1. Julheft 1906)
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Avenarius, Ferdinand: "Vorgeschlagen zum Nobelpreis"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8629#0388

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und sagt dazu in einem Kommentar in Prosa: „Der deutsche Kaiser
sprach von der Notwendigkeit der Weiterentwicklung der Retigion.
Hier ist das lebendige Empsinden Gottes auf drei Punkte ausge-
dehnt usw." „Wer seinen (dieses Gedichts) Sinn erfaßt, empfüngt
ein nicht auszulöschendes Gottesgesühl nnd Gottesglück." Es ist
geradezu ein Messias-Bewußtsein, mit dem er seine Bedeutung
einschätzt:

„Bei mir ist links, bei mir ist rechts,

Denn ich steh in der ükitte

Und seh des wandelnden Geschlechts

lVeit abgeirrte Schritte.

Ich richte neu mit Lhristi Stab
Den !Veg den dunkeln Seelen,

Ich seh das Licht, ich seh das Grab,

Mein vaterland mag wählen!"

Die letzte Unerquicklichkeit, von der wir zu sprechen haben,
ist andrer Art. Jn einem eigentümlichen Mißverhältnis zu sol-
chen Höchstgesühlen steht nämlich die Propaganda, die Bewer sich
selber angedeihen läßt. Jch rechne hierzu nicht die Selbstbildnisse,
die er seinen neueren Gedichtbüchern vorsetzt. Jch will die reich-
liche Verbreitung von Reklamematerial über sich selbst ans dem
Spiel lassen. Auch die bis zur Ermüdung wiederholte Ausnützung
der von Bismarck ihm wie Tausenden gespendeten Höflichkeitssormeln.
Streiten wir auch nicht darüber, ob die Tatsache, daß jemand von
einer Zeitung anderer politischer Richtung für ein Gedicht einen
Preis bekommt, so wichtig ist, daß sie eine eigene umfüngliche Bro-
schüre und immer neue Erinnerungen daran lohnt. Bei all dem
liegt ja wenigstens etwas Geschehenes zugrunde. Läßt aber Bewer
in Anzeigen, die eine Vorlesung ankündigen, das „Vorgeschlagen
zum Dichter-Nobelpreis" mitdrucken, so erinnert das doch wohl an
falscher Stelle an das „Angemeldet zum Patent", und wenn wir
jetzt erfahren, daß er selbst aus die Suche nach den zwei Professoren
gegangeu ist, die ihn vorschlagen sollten, so wirkt auch dies wohl
nicht aus alle erquicklich. Doch ist Bewer noch in weiterer Aus-
dehnung Geschästsmann. Eine bekannte Tageszeitung hat eine An-
noncenabteilung, die, wie das Blatt einmal in seinen Jnsertions-
aufsorderungen mit edler Naivität pries, in der Druckeinrichtung
dem redaktionellen Teil zum Verwechseln ähnele, mit andern Worten:
was dort inseriert wird, das halte der harmlose Leser sür objektive
Rezensionen. Dort tresfen wir auch auf eine Empsehlung Bewers.
Max Bewers „Künstlerspiegel enthält jZO Kunstsinnsprüche voll tieser
Weisheit, voll schlagender Drastik und gleichzeitig von philosophischer
Mystik. Zu bewnndern ist die vollendete Form." Eingerückt ist dieses
Lob vom Goetheverlag in Laubegast-Dresden. Jnhaber des Goethe-
VerlagS ist nach Ausweis des amtlichen Buchhändler-Adreßbuchs
Max Bewer.

Man stelle sich vor, wie derartige Menschlichkeiten erscheinen
würden, nachdem Max Bewer vor Europa, vor der zivilisierten Welt


y Iuliheft M6

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