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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 19,2.1906

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1906)
DOI Artikel:
Bonus, Arthur: "Mode" in der Literatur
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https://doi.org/10.11588/diglit.8629#0664

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„^loäe" in cler ^iteratur

Zwei Parolen hört man heute am allerhäufigsten, eine negative
und eine positive: „Los von der Mode!" und „Hin zum Stil!"

Das klingt sehr wohllautend; man hört ordentlich, daß kein
Zweisel mehr über die Zukunst einer Literatur bleibt, welche sich
dessen bewußr ist, daß sie sich nicht um Mode, aber um Stil knmmern
soll. Und wie genau nnd plastisch! Nicht nur was man, sondern auch
— damit man es ja nicht verfehlen könne — was man nicht solle,
ist gesagt! Nun sehlte nur noch, daß jemand uns sagte, was im Literatur-
leben „Mode" und was „Stil" ist und besonders, wie sie sich von-
einander unterscheiden!

Gewiß, gewiß, es ist ein himmelweiter Unterschied zwischen beidem,
so groß ist der Unterschied, wie zwischen Ja und Nein. Eben darin
liegt, daß er in jedem einzelnen Falle einer Erklärung bedarf, so
gut wie ich bei Ja und Nein wissen muß, was denn bejaht
und was verneint werden soll. Wird vielleicht die Dauer bei der
Mode verneint, beim Stil aber bejaht? Dann müßte man fünfzig
Jahre warten, ehe man sich über etwas äußern dars. Oder die
Verbreitung der Bücher? Das würde auf dasselbe hinausführen:
gerade einige der stärksten „Stile" haben offenbar sehr lange auf
einem verhültnismäßig kleinen Gebiet ihre Zeit abwarten müssen.
Jst's dann vielleicht grade das^ daß die ganz schnell weit um sich
greifenden Bewegungen zur Mode gerechnet werden müssen, die um-
gekehrt sich gebenden zum Stil? Aber es hat offensichtlich Dichter
und Ausdrucksweisen gegeben, die so sehr eine Sehnsucht ihrer Zeit
trafen, daß sie wie mit Windeseile um sich grisfen! Jst nicht Shake-
spere bei seinen Lebzeiten verhältnismäßig schnell durchgedrungen,
aber nach seinem Tode vergessen und erst wieder sehr spät neu ent-
deckt worden?

Und ist nicht vielleicht diese ganze Art, Entscheidungen, welche
von Rechts wegen nur der ganze Mensch in Zusammenfassung aller
seiner Kräfte geben kann, durch formelle Entscheidungen, durch Ur-
teile auf Grund äußerlicher Kennzeichen zu ersetzen, ist diese Art
nicht vielleicht eine jener sehr schlechten Moden, die znm Stil des
geistigen Lebens der Menschheit geworden sind?

Jn der Tat, man irrt kaum, wenn man sagt, daß vier Fünftel
aller geistigen Arbeit der Menschheit bisher darauf verwandt worden
ist, Sachen durch Formen zu ersetzen. Vielleicht ist das auch nötig,
damit irgend eine Art -einheitliches Handeln zustande und die Mensch-

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