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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,1.1911

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1911)
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Avenarius, Ferdinand: Zur Wiederbelebung der Schattenrißkunst
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9028#0038
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die beinahe den Gesnrnttitel „Die deutsche Silhouette" verdienen
dürfte. Vielleicht, daß es auf unsre Weise gelingen wird, dieser in-
timen Kunst endlich die rechte Teilnahme der Gebildeten im deutschen
Volk zu erwerben. Es ist aber noch eines dazu nötig: daß wir
uns gewöhnen, an die Gaben der Schattenrißkunst hohe An-
sprüche zu stellen. Gerade das „ernst nehmen", das ihr so lange
gefehlt hat, muß ihr endlich werden, man darf nicht, wie in weiten
Kreisen jetzt noch, mit einem wie „niedlich" und wie „reizend" zu-
gleich am dilettantischen Nichts und an dem künstlerischen Etwas
oder Viel vorbeigehn, in dem feinste Kräfte sich zu eigenartigen Ge-
staltungen verdichtet haben. Wir müssen auch hier Nnterschiede zu
machen und Abstände zu halten lernen. Verständnisloses Nörgeln
hilst freilich nie etwas. Aber von einer aus Sachkenntnis und ernster
Liebe zum Dinge gewachsenen kritischen Strenge hat die deutsche
Schattenrißkunst nicht das Mindeste zu fürchten, denn kein Volk hat in
der Silhouette so Schönes geleistet, wie nunmehr wir. A

Lose Blätter

Aus Helene Böhlaus ^Jsebies^

^Wenige neuere Bücher haben so entgegengesetzte ästhetische Beurtei-
lungen erfahren wie die jüngste Dichtung von Helene Böhlau. Die
ablehnenden haben sich vor allem auf die sogenannten Formmängel be-
rufen, die zustimmenden auf einzelne schöne Abschnitte darin. Nun ist
aber „Isebies" nicht durchaus und allein ein Romankunstwerk wie die
„Wahlverwandtschaften" oder Björnsons „Mary", sondern ganz unver-
kennbar stellt sich diese Dichtung zu jenen Persönlichkeitkundgebungen
unsres Schrifttums, deren Charakter etwa von „Wahrheit und Dichtung"
und dem „Grünen Heinrich" für unsre Betrachtung bestimmt wird.
Darum glaube ich, daß die ästhetischen Bedenken und Einzelurteile hier
im wesentlichen fehl am Ort sind. Und bin wohl doppelt berechtigt es zu
glauben, weil Helene Böhlau mit dem „Rangierbahnhof" und anderen
Dichtungen längst bewiesen hat, wie stark und sicher ihre Formkraft ist,
wo sie sie einmal anspannt. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß nicht
auch rein Lsthetisch betrachtet wundervoll geschlossene und einheitlich ge-
staltete Stellen in dem Werke ständen, in seinem Ganzen nur wird
man die Persönlichkeit, die sich darin machtvoll und stolz kundgibt, sich
nahen lassen oder sich fern halten müssen, wenn man nicht zu einer
zwiedeutigen, unfruchtbaren Haltung ihm gegenüber verurteilt sein will.

Es begreift sich leicht, daß hergebrachte ästhetische Normen und For-
meln vor einem solchen Werk versagen — lange ist keines geschrieben
worden, das so bis ins kleinste Äderchen von warmem Blut und Leben
durchpulst war. And dieses Leben spricht eine eigne eindruckstarke Sprache,
die einmal ganz wie Alltagrede eines tüchtigen Menschen, dann wie die
sinnende Betrachtung eines einsamen Herzens, wie Klage eines süßen
Vogels und wiederum wie der Schrei des brandenden Meeres klingt,
immer aber ganz von sich selbst erfüllt ist und sich ausgeben will tief
hinein in Herz und Sinn der andern Menschen. Es spricht ein Mensch-

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