Akgemeineres
Bruno Saßnick, Das Schloß der Lüge. Federzeichnung
Rundschau
Totentage,
Gedenktage für die Geschiedenen,
legt sowohl die katholische wie die
protestantische Kirche in die Zeit,
da dieses Hest erscheint. November
— es stimmt ja auch mit der Iahres-
zeit zusammen. Das ^große Ster--
ben" in der Natur, das doch in
Wahrheit gar kein Sterben ist.
Ruhl der Beklagte Tag und Iahr,
dann kann ja die Erinnerung an
ihn insosern auch rein sein, als
wir sie uns gestalten können, wie
unser Inneres verlangt. Dürfen
wir das gleiche von der „Trauer-
zeit" sagen? Es ist ganz seltsam,
was alles sich aufdrängt, wenn wir
einmal im eignen oder in einem
Hause, das uns nahesteht, einen
Sterbesäll und die Zeit, die sich
ihm anschließt, mitleben.
Von dem eigentlichen „Trauer-
geschäft" spricht Rath an einer
andern Stelle dieses Heftes. Ge-
nug, daß es dort geschieht, und hier
nur so viel von der Sache: Wir
alle empsinden's als unerträgliche
Aufdringlichkeit, wenn fremdeAgen-
ten uns mit einem Seufzer „auf
das herzlichste kondolieren", bevor
sie ihre Preisverzeichnisse vorlegen
— würden sie das aber wagen,
wenn's nicht von der Mehrheit
zum mindesten geduldet, womöglich
gar gewünscht würde? Es gehört
sehr vieler Orten immer noch zum
sogenannten guten Ton. Und der
„gute Ton" der Vielzuvielen drängt
sich nicht nur hiermit ins Trauer-
haus. Wenn du das Herz zum Zer-
brechen voll Weh um einen Ver-
storbenen hast, so stilisiere vor allem
eine Zeitungsannonce und einen
druckbaren Trauerbrief. Wenn dir
nichts gleichgültiger ist, als dein An-
zug, so lasse dir schleunigst den
Schneider kommen, von wegen der
Trauertoilette. Wenn du nichts
mehr brauchst, als das Alleinsein, so
wage ja nicht, „Kondolenzbesuche"
abzuweisen und den und jenen etwa
nicht „geziemend^ zu empfangen.
Dann bedanke dich hübsch bei allen,
die dich ihrer herzlichen Teilnahme
versichern, mag ihnen der Verstor-
bene auch rein nichts gewesen sein und
bist du selber ihnen auch nicht mehr.
Denn das „gehört sich so". In jedes
Trauerhaus, wie eigner, wie per-
sönlicher Geist darin gewaltet haben
und weiter walten mag, drängt sich
noch vor dem Sarge mit breiten
270 Kunstwart XXV, H
Bruno Saßnick, Das Schloß der Lüge. Federzeichnung
Rundschau
Totentage,
Gedenktage für die Geschiedenen,
legt sowohl die katholische wie die
protestantische Kirche in die Zeit,
da dieses Hest erscheint. November
— es stimmt ja auch mit der Iahres-
zeit zusammen. Das ^große Ster--
ben" in der Natur, das doch in
Wahrheit gar kein Sterben ist.
Ruhl der Beklagte Tag und Iahr,
dann kann ja die Erinnerung an
ihn insosern auch rein sein, als
wir sie uns gestalten können, wie
unser Inneres verlangt. Dürfen
wir das gleiche von der „Trauer-
zeit" sagen? Es ist ganz seltsam,
was alles sich aufdrängt, wenn wir
einmal im eignen oder in einem
Hause, das uns nahesteht, einen
Sterbesäll und die Zeit, die sich
ihm anschließt, mitleben.
Von dem eigentlichen „Trauer-
geschäft" spricht Rath an einer
andern Stelle dieses Heftes. Ge-
nug, daß es dort geschieht, und hier
nur so viel von der Sache: Wir
alle empsinden's als unerträgliche
Aufdringlichkeit, wenn fremdeAgen-
ten uns mit einem Seufzer „auf
das herzlichste kondolieren", bevor
sie ihre Preisverzeichnisse vorlegen
— würden sie das aber wagen,
wenn's nicht von der Mehrheit
zum mindesten geduldet, womöglich
gar gewünscht würde? Es gehört
sehr vieler Orten immer noch zum
sogenannten guten Ton. Und der
„gute Ton" der Vielzuvielen drängt
sich nicht nur hiermit ins Trauer-
haus. Wenn du das Herz zum Zer-
brechen voll Weh um einen Ver-
storbenen hast, so stilisiere vor allem
eine Zeitungsannonce und einen
druckbaren Trauerbrief. Wenn dir
nichts gleichgültiger ist, als dein An-
zug, so lasse dir schleunigst den
Schneider kommen, von wegen der
Trauertoilette. Wenn du nichts
mehr brauchst, als das Alleinsein, so
wage ja nicht, „Kondolenzbesuche"
abzuweisen und den und jenen etwa
nicht „geziemend^ zu empfangen.
Dann bedanke dich hübsch bei allen,
die dich ihrer herzlichen Teilnahme
versichern, mag ihnen der Verstor-
bene auch rein nichts gewesen sein und
bist du selber ihnen auch nicht mehr.
Denn das „gehört sich so". In jedes
Trauerhaus, wie eigner, wie per-
sönlicher Geist darin gewaltet haben
und weiter walten mag, drängt sich
noch vor dem Sarge mit breiten
270 Kunstwart XXV, H