wird die Malerei „dramatisch". Alles bezieht sich nicht nur, alles
wirkt anfeinander. Was nicht Krast ist, schrumpst zur Andeutung
ein, wie die Hintergründe, was Kraft ist, wächst ins Riesenmaß. Aus
der Leidenschaft an der Form geboren, wird alles Bewegen Leiden-
schaft: es gibt schier nichts mehr, das nicht Afsekt ist; selbst was ruht,
zeigt nur die Pause im Affekt, die neuen sammelt. Das Leben wird
zu überlebensstarken Visionen. Nun verlebendigt sich noch inner-
halb der Malerei, im „Iüngsten Gericht", zur ungeheuren leiden-
schaftlichen Kraft sogar der Raum. Das ist dieser Entwicklung Höhe.
Michelangelos Künstlerleben aber endet, indem er noch einmal den
Raum aus der Phantasiewelt in die reale der Körper führt, beruhigt
in dem architektonischen Feiergesange hoch über der Hauptstadt der
Christenheit, mit der Peterskuppel über Rom.
O
Die Weltanschauung, die so sühlte und so schus, war die aszetisch
düstere des Christen, der vom Iesusleben vor allem das Kreuz und
vom Menschenleben vor allem das sah, was am letzten Tage zu
verhandeln steht. Ein Nachtdrohen überall mitten im Licht, Trom-
petenhelle wird zum Posaunenton. Lebend mit der Neigung im
Lhedem, im Heute mit der Klage, im Kommenden mit der Sorge.
Seine Führer im Irdischen Dante und Savonarola. Dabei doch
bleibend ein Künstlergeist aus jener seiner Iugendzeit, die im Alter-
tum ihre Zukunftshofsnung sah, so daß trotz allem auch jener Vorzeit
Gestalten nun durch sein Christentum weiterschreiten. Dazu ein Mann
von herbem Republikanersinn, zwar paktierend mit dem, was er
nicht ändern konnte, aber sein Leben lang nachtrauernd einer ver-
lorenen Freiheit, ohne die ihm irdische Sittlichkeit schwer faßbar war.
Feind allem Prunk. Feind aller bloßen Gefälligkeit. Feind selbst
der Schönheit, die reizt. Nnd doch unter all die Ausgeburten der
Krast auch solche stellend, die unverwelklich an Schönheit sind. So
groß in jedem Gefühl und jedem Gesicht, daß er nichts hinterlassen
hat, tatsächlich nichts, was auf uns Heutige anders wirkte, als seinem
Geiste nach monumental. Ein Linziger, dem nachzuahmen sein Dasein
verderben, den zu genießen, es emporheben hieß. Wer nach dem
Erhabensten ausblickt, was der Mensch dem Auge gab, sieht durch
die Vergangenheiten zunächst auf ihn. A
W
AnLon Bruckners Vordringen
ährend an der Oberfläche unsres Musiklebens der Streit der
^Meinungen um die Götter und Götzen der Gegenwart geräusch-
ooll tobt, vollziehen sich in der Stille allerhand Verschiebungen
und Umwertungen der öffentlichen Meinung über die großen Nnzeit-
gemäßen von gestern. Dem Beobachter unsres Konzertlebens wird zum
Beispiel das langsame, unauffällige, aber stetige Vordringen Anton
Bruckners nicht entgangen sein, der allen Widerständen parteiischer,
gelehrter, wesenssremder oder stumpfsinniger Gegner zum Trotz sich
behauptet hat und seinen Platz an der Sonne gewinnt. Nnd dies
alles, obwohl er kein großer, .einflußreicher Hofkapellmeister, ja nicht
2. Dezemberheft lM
297
wirkt anfeinander. Was nicht Krast ist, schrumpst zur Andeutung
ein, wie die Hintergründe, was Kraft ist, wächst ins Riesenmaß. Aus
der Leidenschaft an der Form geboren, wird alles Bewegen Leiden-
schaft: es gibt schier nichts mehr, das nicht Afsekt ist; selbst was ruht,
zeigt nur die Pause im Affekt, die neuen sammelt. Das Leben wird
zu überlebensstarken Visionen. Nun verlebendigt sich noch inner-
halb der Malerei, im „Iüngsten Gericht", zur ungeheuren leiden-
schaftlichen Kraft sogar der Raum. Das ist dieser Entwicklung Höhe.
Michelangelos Künstlerleben aber endet, indem er noch einmal den
Raum aus der Phantasiewelt in die reale der Körper führt, beruhigt
in dem architektonischen Feiergesange hoch über der Hauptstadt der
Christenheit, mit der Peterskuppel über Rom.
O
Die Weltanschauung, die so sühlte und so schus, war die aszetisch
düstere des Christen, der vom Iesusleben vor allem das Kreuz und
vom Menschenleben vor allem das sah, was am letzten Tage zu
verhandeln steht. Ein Nachtdrohen überall mitten im Licht, Trom-
petenhelle wird zum Posaunenton. Lebend mit der Neigung im
Lhedem, im Heute mit der Klage, im Kommenden mit der Sorge.
Seine Führer im Irdischen Dante und Savonarola. Dabei doch
bleibend ein Künstlergeist aus jener seiner Iugendzeit, die im Alter-
tum ihre Zukunftshofsnung sah, so daß trotz allem auch jener Vorzeit
Gestalten nun durch sein Christentum weiterschreiten. Dazu ein Mann
von herbem Republikanersinn, zwar paktierend mit dem, was er
nicht ändern konnte, aber sein Leben lang nachtrauernd einer ver-
lorenen Freiheit, ohne die ihm irdische Sittlichkeit schwer faßbar war.
Feind allem Prunk. Feind aller bloßen Gefälligkeit. Feind selbst
der Schönheit, die reizt. Nnd doch unter all die Ausgeburten der
Krast auch solche stellend, die unverwelklich an Schönheit sind. So
groß in jedem Gefühl und jedem Gesicht, daß er nichts hinterlassen
hat, tatsächlich nichts, was auf uns Heutige anders wirkte, als seinem
Geiste nach monumental. Ein Linziger, dem nachzuahmen sein Dasein
verderben, den zu genießen, es emporheben hieß. Wer nach dem
Erhabensten ausblickt, was der Mensch dem Auge gab, sieht durch
die Vergangenheiten zunächst auf ihn. A
W
AnLon Bruckners Vordringen
ährend an der Oberfläche unsres Musiklebens der Streit der
^Meinungen um die Götter und Götzen der Gegenwart geräusch-
ooll tobt, vollziehen sich in der Stille allerhand Verschiebungen
und Umwertungen der öffentlichen Meinung über die großen Nnzeit-
gemäßen von gestern. Dem Beobachter unsres Konzertlebens wird zum
Beispiel das langsame, unauffällige, aber stetige Vordringen Anton
Bruckners nicht entgangen sein, der allen Widerständen parteiischer,
gelehrter, wesenssremder oder stumpfsinniger Gegner zum Trotz sich
behauptet hat und seinen Platz an der Sonne gewinnt. Nnd dies
alles, obwohl er kein großer, .einflußreicher Hofkapellmeister, ja nicht
2. Dezemberheft lM
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