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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,1.1911

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9028#0509
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Allgemeweres

Rundschau

Werhnachten

Oas man vor einem Vierteljahr-
^hundert die Zeitungen zur Weih-
nachtzeit, so las man im Leitauf-
satze davon, wie das Lhristfest der
Erde Gottessrieden bringe, wie
man an ihm all des Streites
nicht mehr gedenke, wie die ge-
weihten Glocken durch Hütte und
Palast das „Liebet Euch" sängen,
so daß nur der ganz Verstockte nicht
darauf höre. Nnterm Feuilleton-
'strich in der Weihnachterzählung
hörte wohl auch er darauf. Etwa
indem er sich in Tränen bekehrte,
wenn der gute Reichs ihm, dem
nicht ohne Schuld Verarmten, einen
vollbehängten Weihnachtbaum samt
gefülltem Korbe ins Haus schickte.
Wohltätigkeit war die eigentliche
Weihnachttugend. Im Glückgefühl
der Erlösung durch Gottes Sohn
wohltätig zu sein, war auch die
Hauptmahnung aller Predigten.

Ähnliches lesen wir da und
dort noch heut. Aber derer sind
viel mehr geworden, deren Ge-
danken jetzt mehr nach Stahl
klingen als nach Geigen. Irdi-
scher, schärfer klingen sie, und
wenn sie nach Opfern rufen, so ver-
langen sie sie nicht als gütig ge-
spendete Gaben der Herzensmilde,
sondern als Darbringungen einer
Pflicht- und Notwendigkeiterkennt-
nis, unterm Bewußtsein der Ver-
antwortlichkeit. DieNot derArmen
wird betrachtet als eine Not der
Zeit, welche die Güter aller be-
rührt, wenn sis den einzelnen
fällt. Nicht so von einem über-
schüssigen Mehr an Güte erhoffen
wir ihre Linderung, sondern von
dem Zwange, gesund zu werden.

Und mir scheint: je länger wir
vergleichen, je lieber wird uns der
^ hsrbere Ton des Heut. Es war zu-

viel Süßliches in dem Christentum
von damals, uns will es scheinen,
als hätte dabei zuviel irdische Satt-
heit das Himmlische gesehn, zu-
viel unbewußtes Sicheinwiegen
ins Behagen der glücklich Besitzen-
den. Wir sind nicht weniger christ-
lich geworden, weil wir so viel
ernster geworden sind, — was gab
es denn von gewaltigerm Ernst
als Iesu Christentum? Wer reckte
sich fester zum Kampf gegen das
Seiende, als der Händleraustreiber
aus dem Tempel, der aus diesem
Kinde ward? Wir sahen am Meih-
nachtfest zu lange allein das
Lhristkindlein, das holde im lockigen
Haar, gehegt von der Mutter, an- !
gebetet von den Königen, gesegnet
vom Stern. Mir scheint: den
Kindern die lieblichen Bilder vom
Kinde, uns Erwachsenen auch, aber
uns Erwachsenen außer ihnen das !
Bild des Mannes. Nicht des Lei- !
denden und Sterbenden an diesem j
Tage, aber des Kämpfers, der !
siegt.

Sein Ernst war nicht Bitternis;
das Wort vom lebensfreudigen
Iesus ist nun schon alt. Wie dun-
kel uns heute die Zeit vorkommt,
jene Iahre waren das nicht weniger,
deren Dunkel wir nicht sahen, weil
wir um uns herum bunte Lampen
ansteckten. Wir haben keinen
Grund, Lobredner der Zeit nach
dem Kriege zu werden, die schon
deshalb nicht in allem groß sein
konnte, weil sie sonst nicht Mutter
von so manchem wäre, dessen Klein-
heit sich heute offenbart. Wie
schwer uns nun Gefahren drohn,
sie drohten gefährlicher, als wir
sie noch nicht erkannteN.

Schütteln wir angenehme Illu-
sionen ab, so verlieren wir ein
Flitterkleid zu Spielfesten, nichts

^26 Kunstwart XXV, 6
 
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