Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,1.1911

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1911)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Heiratsmarkt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9028#0213
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heirat ums Geld oder sonstigen „Vorteil", ohne Liebe, bedeutet Ver--
zicht aus gemeinsame Höchstentwicklung des Ichs, der Familie, der
Rasse. Zwar kommen die „Praktischen" damit, „Vernunstheiraten"
fielen ost „glücklich" <rus, wobei dann nnter „Glück" der sanfte Zu-
stand der Lanheit verstanden wird, der tatsächlich beim Mangel an
Besserem für viele Bürger das Zuträglichste sein mag. Und sie be-
haupten: auch die Heiratsannoncen führten oft zu braven Ehen.
Auch möglich, da es ja in der Welt erstaunlich viel Kruppzeug gibt.
Wem hat aber jemals einer, der sich für einen anständigen Menschen
ansgab, mitgeteilt oder zugestanden, daß er seine Ehe-
hälfte durch tzeiratsvermittler oder durch Inserat, oder daß er seiner
Tochter auf diese Weise den Eidam „gewonnen" habe? Man tut's,
tut es, wie die Heiratsmärkte in den Zeitungen beweisen, massenhast,
aber man verheimlicht's. Wohl: es gäbe in solchen Dingen keine
Heuchelei, wenn's in ihnen keine Scham gäbe, die allgemeine
Scham aber ist der unwiderlegliche Beweis dafür, daß der Instinkt
das Gemeine empfindet, wo die Praxis des Lebens es verschleiert und
benutzt. Auf wie lange bleibt dieser Instinkt, das ist die Frage.
Anf den niedrigsten Stufen der Zivilisation gab es Frauenverkauf,
auf den niedrigen HLlt er sich noch, selbst bei unsern Bauern unter
der Mitgiftform und bei nnserm Kleinbürgertnm durch das „Ein-
heiraten". Langsam nur setzte sich auch für diese Gebiete gegen die
Zivilisation die Kultur durch, als das Natürliche auf höherer Ebene.
Daß man fie als das Bessere anerkennt, wird durch die allgemeine
Verheimlichnng der Einkäufe auf dem Heiratsmarkte bewiesen. Wollen
wir nun diese durch die Iahrhunderte langsam erworbenen vornehmen
Menschengefühle durch die Sanktionierung des Heiratschachers all-
mählich verkommen lassen oder wollen wir sie stärken, indem wir
das, was der Pöbel nicht entbehren mag, wenigstens unmißverständ-
lich infamieren?

Am statt langen Beschreibens Anschauung zu bieten, reproduzieren
wir ein paar Annoncenseiten. Sie geben keine auf den Zweck gewählte
besonders charakteristische, sondern nur eine ganz zufällige Stich-
probe, geben just einen Ausschnitt aus dem „Berliner Tageblatt"
von „heute", da ich diese Zeilen schreibe, bilden auch aus dieser einzigen
Zeitungsnummer nur eben Proben ab, nicht einmal den ganzen
Heiratsmarkt. Man schene sich einmal nicht, das daraufhin anzu-
fehn, wie mit Zynismus hier, mit sentimentalem Putze dort Tag für
Tag sogenannte Ehe seilgeboten und erhandelt wird.* Tag für Tag

* Or. Ioachim Werner hat ein Büchlein verfaßt: „Die Heiratsannonce,
Stndien und Briefe" nnd bei M. Aronhold in Berlin herausgegeben,
das manche hübschen Angaben bringt. Er ließ zweimal dasselbe
Inserat drucken, aber einmal ohne nnd einmal mit der Parenthese:
(Iahreseinkommen 30 000 Mark). Das erstemal liefen 3 belanglose,
das zweitemal 7^ Briefe ein. Er untersuchte dann ftatistisch eine
größere Anzahl von Annoncen nnd dazugehörigen Antworten. Bei
einer: „(00 000 Mark Mitgift nnd kleiner körperlicher Fehler" liefen
(72 Briefe ein. In einer Woche fand er in (2 deutschsprachigen Zeitungen
(302 Heiratsannoncen. Alle Berufe und alle Altersklassen waren ver-
treten. Werner macht auch — bescheidene — Reformvorschläge.

(62 Kunftwart XXV, 3
 
Annotationen