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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,1.1911

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Heft 4 (2. Novemberheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9028#0373
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wohnten Spiele und Beschäftigun--
gen ruhen eine Weile, nnd es
beginnt ein ungewohntes, durch-
nus nicht irnmer freudiges Tun
und Treiben.

Die Weihnachtsarbeit! Wie viele
Seufzer und Tränen hängen an
ihr, wie viele Ermahnungen und
Strafen!

Wie kommt es, daß das Kind,
das im Durchschnitt ein freudiger
Geber ist, nicht mit Luft und Liebe
an seine Festvorbereitungen geht
und aus diesen nicht die gering-
sten Anregungen in sein Alltags--
leben hinübernimmt; daß es die
Weihnachtsarbeit wie einen lästi--
geN Tribut betrachtet, der als An-
zahlung auf den künftigen Gaben-
tisch zu entrichten ist? Wenn wir
wirklich unter den Hunderten von
Möglichkeiten gar nichts finden
können, was in unsern Kindern
die Lust des Schenkens, die Freude
an der eigenen Arbeit, die Span-
nung der Äberraschung anregt, so
müssen wir wohl auf sehr falschem
Wege sein bei der Wahl und
Einrichtung unsres Arbeitsfeldes.

Der Hergang ist ja auch fast
immer Lrostlos prosaisch, unüber-
legt und ganz unrationell. Anter
zahllosen andern Besorgungen
bringt eines Tages die Mutter
das Material zur Weihnachtsarbeit
nach Hause. Entweder entstammt
es dem Warenhaus, wo es für 65
und 9? Pfg. wahre Wunder an
Billigkeit und Scheußlichkeit gibt,
oder den Stickereigeschäften, wo
es überzahlt worden und nicht
minder scheußlich ist,

Eine Großmutter, vier Tanten,
ein Onkel, ein Vater, zwei Eou-
sinen sind von zwei bis drei Kin-
dern zu beschenken. Das gibt
schon zwanzig kleine Arbeiten, an
deren Auswahl die Mutter viel-
leicht eine halbe Stunde wenden
konnte, — wie kann sie in der Zeit

noch Beziehungen zwischen dem
kleinen Geber und den Wünschen
des Empfängers suchen! Der Onkel
ist vielleicht eine Leseratte; er be-
kommt ein Lesezeichen — aber er
liest nur Zeitungen und Fach-
schriften, für die Lesezeichen eigent-
lich nicht in Betracht kommen.
Eine Tante, die ein Reiseleben
führt, bekommt ein Staubtuchkörb-
chen, eine andere, die elektrisches
Licht brennt, Zylinderhütchen; Groß-
mütter bekommen so viele wär-
mende Hüllen Iahr für Iahr, daß
die robusten Kräfte eines Fuhr-
knechts sie nicht einmal auftragen
könnten; und das Los der Väter
sind Rauchutensilien, ob sie den
Tabak lieben oder nicht. All die
kleinen Sachen sind angefangen,
vorgezeichnet, vorgeschrieben, ver-
sehen mit ein paar Fädchen des
Stickmaterials; und was dem
Kinde bleibt, ist ein stumpfsinni-
ges Ausfüllen und Nahtziehen,
an dem es keinen Spaß haben
kann. Kommt das Fest heran, so
ruht ein trauriges Häuflein ange-
schmutzter, unfertiger Dings im
Kasten und bleibt noch lange das
Schreckgespenst für Regentage und
Strafstunden, während einen Teil
die Mutter durch nächtliche Nach-
hilse gerettet hat, die sie als natür-
liche Strafe für den Mangel an
wirklicher Kultur in ihrem Kin-
derzimmer betrachten sollte. Ver-
nünftige, allzu nüchtern denkende
Mütter, die den Mißstand emp-
finden, haben die ganze Hand-
beschäftigung, „die Weihnachts-
arbeiterei" aus der Kinderstube
verbannt. Damit haben sie aber
von zwei Äbeln nur das kleinste
gewählt und ein wichtiges Er-
ziehungsmittel aus der Hand ge-
geben, das sie in keiner Weise
ersetzen können.

Der ethische Wert des Schen-
kens liegt nicht im Heruntersti-

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