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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0024

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Einleitung.

und sprengen befreite Spannkräfte die granitnen Wälle der Alpern
Mit eisernen Schienen hat diefes Jahrhundert den Erdball nmgürtech
mit den Flügeln des Dampfs Wagen und Schiffe beschwingt, in allen
Zonen dem Austaufch der Güter nnd Gedanken offene Wege gebahnt.
Mit der Gefchwindigkeit des Blitzes eilt das gefprochene Wort von
Stadt zu Stadt, von Land zu Land, das geschriebene über Weltteile
und Meere, ja, der Phonograph zaubert die Stimme der Verstorbenen
aus der Tiefe der Grüfte. — Mit befferer Aussicht als die Theofophie
vergangener Jahrtaufende wagt sich die exakte Forfchung an die Lösung
des Problems der Weltschöpfung.

Als Wiffenschaft und Kunst hielt die Medizin gleichen Schritt
mit den Naturwiffenschaften und den technischen Künsten. Sie löste
die unnatürliche Allianz, die sie mit der Spekulation gefchlosfen hatte,
und nahm ihren richtigen Platz bei den Erfahrungswiffenschaften. Als
eine Schwester der Biologie teilt fie mit ihr Methode und Werk-
zeuge. Reich an Entdeckungen und Erfindungen, behorcht sie mit Glück
Atmung und Kreislanf, beleuchtet die dunkeln Tiefen der Leibeshöhlen,
mißt die bewegende und empfindende Kraft der Nervensubstanz und
deckt die mörderischen Feinde auf, die unsichtbar aus ihren Ver-
stecken hervorbrechend Völker und Jndividuen mit furchtbaren Senchen
heimsuchten und die Gefchicklichkeit der Aerzte, Chirurgen und Ge-
burtshelfer zu Schanden machten. Nicht länger steht die Heilkunst
den vergifteten Pfeilen der grausamen Natur, die mit grimmiger
Lust zerstört, was sie eben fchuf, ratlos in Ohnmacht entgegen. Sie
hat zwei Triumphe errungen, wie sie kein früheres Jahrhundert
geahnt: durch die empfindlichsten Gebilde des Leibes hat sie die Schneide
des Mesfers fchmerzlos führen und die Wunde vor der Tücke der
Sepsis wahren gelernt.

Uns Dentfchen gebietet die Pflicht, dem fcheidenden Jahrhundert
ein doppelt feuriges Danklied zu singen. Den patriotischen Sinn,
der uns in der langen Zerriffenheit und dem nnseligen Hader der
Stämme, Fürsten und Konfessionen verloren gegangen war, hat es dem
deutschen Volke wieder gegeben. Es schenkte uns zur rechten Stunde
den Fürsten von unerschütterlichem Pflichtbewußtsein und klarem Ur-
teil, der mit sicherem Blick die genialen Helfer zu dem großen Werke
 
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