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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0030

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Mrm Valrr.

Ein „86lfinLäs ninn" hat sich mein Vater vom armen Bauern-
jungen zum tüchtigen Arzte heraufgearbeitet. Je älter und einsichtiger
ich geworden bin, desto besser lernte ich die Schwierigkeiten ermessen,
die er dabei überwinden mußte, wobei ich freilich zugebe, daß es ihm
mit den Mitteln, wie es damals gelang, hente nicht mehr gelingen
könnte. — Was ich am meisten bewunderte, war, daß er sich, obwohl
er unter der Dorfjugend aufgewachsen war und kein Gymnasium be-
sucht hatte, doch eine gute allgemeine Bildung verschaffte, eine gewählte
Sprache und gewinnende Umgangsformen. Ein kenntnisreicher Mann
von heiterem Gemüt, von Geist und Witz, war er ein angenehmer
Gesellschafter, wenn sein schwerer Beruf ihm Zeit dazu ließ. Sein
klarer Verstand hielt ihn frei von Aber- und Wunderglauben, ebenso
von dem Unglauben, der in den vierziger Jahren bei den deutschen
Aerzten einriß, er blieb fest im Glauben an die hippokratische Heilkunst.

Auch an Sonn- und Feiertagen war dem nnermüdlichen Manne
wenig Muße vergönnt. Neben seinem Amt als Physikus — so hießen
damals die Bezirksärzte — besorgte er eine große Privatpraxis, meist
zu Fuße. Er stand in der Regel schon vor der Sonne auf und
marschierte oft 6—8 Stunden am Tage. Jn 29jährigem Staatsdienst
nahm er nur einmal einen Urlaub von mehreren Wochen.

Seine ruhige und teilnehmende Art mit den Kranken zu ver-
kehren gewann ihm überall, wo er sich niederließ, bald das Vertrauen
der Leute. Niemals stieg er, um die Gunst der Menge buhlend, von
der Höhe seiner Bildungsstufe herab, gegen vornehm und nieder be-
 
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