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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0051

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Jm Pfarrhaus zu Buch am Ahorn.

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handelten mich wie ihr eigenes. So kam ich leicht über das Heim-
weh weg und fühlte mich bald zu Hause.

Einen besferen Erzieher hätte ich nicht haben können, als diesen
kleinen, klugen und nie verdrossenen Landpfarrer. Er war ein ver-
gnügter Student gewesen und im Predigerrock kein Kopfhänger ge-
wvrden; er liebte die Kinder und verstand es ansgezeichnet, mich den
ganzen Tag zu beschüftigen. Ein großer Kanzelredner war er sicher-
lich nicht, doch besaßen seine Predigten eine Eigenschaft, die der badische
Prälat und Dichter Hebel als die beste bezeichnet, sie waren — kurz.
Auch seine Gelahrtheit reichte nicht weit, für mich jedoch weit genug.

Wie bei dem Pfarrer, war ich auch bei der Pfarrerin gut auf-
gehoben. Sie sorgte für mein leibliches Gedeihen und ihre Mehlspeisen
waren köstlich. Fleisch kam nicht täglich auf den Tisch und ich ver-
mißte es nicht; Mehlspeisen und Obst zog ich dem besten Braten vor.

Mein größtes Leibessen waren ihre zarten Kartofselklöschen, sie
sah mir liebevoll zu, wenn ich sie von dem Teller verschwinden machte,
doch konnte sie zuletzt dem Gatten zurufen: „Lieber Ganz, wird es
nicht doch des Guten zu viel?" Er aber lachte, weil er besser wußte,
was der gesunde Magen eines Knaben zn leisten vermag nnd wie
man ihn bei außergewöhnlichen Zumutungen leicht vor Schaden behütet,
er dehnte den Spaziergang nach Tische ein Stündchen länger aus.

Der Unterricht meines Mentors erstreckte sich auf Latein und
Französisch, im zweiten Jahr auch auf Griechisch, er lehrte mich Rechnen
und Geometrie, Naturlehre, Geschichte und Erdkunde, diese gefiel mir
am besten. Jn den freien Stunden wurde regelmäßig spazieren ge-
gangen, ich spielte in Hof und Garten, las und zeichnete, mit beson-
derer Vorliebe kolorierte und zeichnete ich auch Landkarten nach Anweisung
meines Lehrers. Spielend erwarb ich mir dadurch gute geographische
Kenntnisse; ich fertigte sogar geschichtliche Karten der Weltreiche Ale-
xanders des Großen, der Römer und Karls des Großen. Er gab
mir aus seiner wohlbestellten Bibliothek Zimmermanns mehrbändige
Länder- und Völkerkunde in die Hand, an der ich mich nicht satt
lesen konnte.

Jn der letzten Zeit meines Anfenthalts ergrifs mich eine ge-
sährliche Lesewut. Der Pfarrer bewarb sich um die Pfarrstelle in
 
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