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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0053

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Jm Pfarrhaus zu Buch am Ahoru.

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Jch betrachte es noch heute als ein Glück, daß ich den größten
Teil meiner Kindheit auf dem Lande verlebt habe. Jn jeder Jahres-
zeit gab es Neues zu schauen: im Frühling pflügen und säen, Steck-
linge fetzen, pfropfen und Bäume fchneiden, im Sommer Heu und
Getreide ernten, im Herbste zahlreiche Früchte von Feld und Garten
einheimfen, im Winter Arbeit genug in Scheune und Stall. Jn den
Weingegenden kommen noch die Freuden des Rebenherbstes dazu, in
Buch am Ahorn gab es keine Rebgärten, man kelterte, wenn ich mich
recht erinnere, nur Aepfel und Birnen.

Wie stolz war ich, wenn ich im Sommer hochthronend auf dem
Erntewagen mit den vorgefpannten Kühen in den Pfarrhof einziehen
durfte, und welch ein Vergnügen, in der Scheune von hoch oben
herabzuspringen in das duftende Heu! — Herrlich war es auch in
der Erntezeit nach der Heimkehr vom Felde, wenn ich müde und
hungrig mit dem Gesinde das köstliche Roggenbrot und Wurst oder
Käfe teilen durfte und den fäuerlichen Wein dazu kosten. Was ist
gegen solchen Genuß das Zuckerbrot des städtifchen Konditors? —
Das Feinste aber brachte das Schlachtfest im Winter, wenn es würzige
Metzelsuppe gab mit zartem Wellfleifch, und die Dorfjugend in den
Pfarrhof kam, um die Brühe und die leckeren Bissen mitzukosten.

Jedoch nicht immer rnht idyllisches Glück auf den ländlichen
Hütten. — An einem Herbstabend war der Pfarrer mit mir nach dem
nahen Dorfe Brehmen spazieren gegangen. Die Sonne begann eben
unterzusinken, als wir aus dem Walde tretend das Oertchen vor unseren
Füßen liegen sahen. Plötzlich fchlugen Flammen aus dem Dachgiebel
eines der Häuser, und in wenigen Minuten flog das Feuer, vom Winde
getrieben, von Haus zu Haus, von Scheune zu Scheune. Heu und
Frucht lagen aufgefpeichert darin, das gierige Element verzehrte die
mühsame Arbeit eines ganzen Jahres; die rote Lohe fprühte hoch gen
Himmel. Mit Furcht und Grauen fah ich das traurige Schauspiel.
Die armen Lente eilten hilflos auf der Brandstätte umher. Ge-laffener,
als es eine städtifche Bevölkerung zü thun vermocht hätte, nahmen die
Bauern ohne Geschrei und Lärm ihr Unglück hin.

Eilend waren zwei Jahre bei dem Pfarrer dahingegangen, er
riet meinem Vater, mich nunmehr auf ein Gymnasium zu bringen.

Kußmaul, A., Jugsndermnerungen. 3
 
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