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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0075

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Das Mannheimer Lyceum.

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schieht zu wenig für Schönschreiben. Schon aus Höflichkeitsgründen
sollte man die Jugend wenigstens leserlich schreiben lehren, denn es
ist unhöflich, dem Leser zuzumuten, seine kostbare Zeit mit der Ent-
rütselung abscheulicher Hieroglyphen zu verderben. — Jm ersten Jahre
meines Anfenthalts in Mannheim benützten wir noch Federkiele und
die erste Schönschreibstunde verwendete der Schulmeister zum Unter-
richten im Schneiden, Spalten und Spitzen der Kiele. Bald nach-
her kamen die Stahlfedern in Gebrauch; sie waren anfangs steif
und zerkratzten das Papier, glitten aber bald leicht und biegsam
darüber hin.

Jn der Tertia, weniger schon in der Quarta, ging es bei den
Lehrern, die es nicht verstanden, den Jungen Respekt einznflößen, oft
noch kindisch mutwillig zu, am schlimmsten bei dem sranzösischen Sprach-
lehrer. Ein Franzose von Geburt, bereits in den Fünfzigen, erfrente
sich der gutmütige Monsieur D. eines runden Bäuchleins. Er war
unfähig, die Knaben zu bemeistern, schon der sranzösische Accent, wo-
mit er das Deutsche aussprach, machte ihn der Klasse zur komischen
Person. Wenn die Wogen in der Tertia hochgingen, glich er ganz
und gar dem Greise in dem bekannten Stndentenliede:

„Auf dem Dache sitzt ein Greis,

Der sich uicht zu helfen weiß."

Jn seinen Lehrstunden wurde weniger Französisch als Unfug getrieben.
— Um die Schüler in der Aussprache zu üben, mußten sie — es
waren ihrer mindestens dreißig — den Text aus dem französischen
Lesebuch zusammen laut syllabierend ablesen. Kam das Wörtchen nvse,
so machten sie sich immer den gleichen Spaß. Das Wort erinnerte
sie an den „Sewek" der Odenwälder Bauern, auch Nebelspalter ge-
nannt, den dreispitzigen Hut, den noch viele Odenwälder trugen, wenn
sie in die Stadt kamen. Warum die Knaben diesen Dreispitz Sewek
nannten, weiß ich nicht; sobald sich ein Bauer in Mannheim damit
blicken ließ, liefen ihm die Knaben auf der Straße nach und jubelten:
„Sewek, Sewek!" Und wenn beim Französischen — vse syllabiert
wurde, folgte regelmäßig hintennach Se — wek. Mochte sich Monsieur
 
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