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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0083

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Heidelberg.

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Und ins Herz blieb ihm die Schöne geschrieben bis zum letzten Hauche
seines Lebens. Ein gebrochener Mann, todmüde, verlangte es ihn
nach der Geliebten. Jn ihrem Anblick seine Qualen vergessend, rüstete
er sich zur letzten Wanderung in das unbekannte Land, von wo nie-
mand wiederkehrt. *)

Jn den dreißiger Jahren trug die Stadt noch immer ein lünd-
lich schönes Gewand, wie es Hölderlin entzückt hatte, und noch immer
lagen ihre sröhlichen Gassen, namentlich die der westlichen, „Vorstadt"
genannten Hälfte, inmitten duftender Gärten. So lange Heidelberg
befestigt gewesen war, hatte ein Wall mit Graben die östliche Altstadt
von der westlichen Vorstadt geschieden; der Graben lief in der Richtung
der heutigen Grabengasse vom Klingenthor zum Neckar herab; was
heute von den vielen Ziergärten der Vorstadt übrig ist, giebt keinen
Begriff mehr von deren früherer Ausdehnnng; sie mußten im Laufe der Zeit
Straßen und Gebäuden weichen, wo Gürten blühten, stehen heute Wohn-
häufer, Werkstätten, Fabriken, Schnlen und Universitäts-Anstalten.

Freilich nicht überall in der Vorstadt roch es nach Rofen und
Veilchen, in dem westlichen Teile wehten die krüftigeren Düfte der
Landwirtschaft und hausten Bauern, vielleicht die Nachkommen der
Bewohner des Dorfes Bergheim, die Kurfürst Ruprecht II. gezwungen
hatte, 1392 nach Heidelberg überzusiedeln. Eine alte Dame, die in
der Vorstadt geboren und aufgewachsen war, wir nannten fie die Frau
Doktorin, ich werde später genauer auf fie zurückkommen, erzählte
uns Jünglingen gerne von den idyllischen Zeiten, die sie noch zu Be-
ginn des Jahrhunderts in der geliebten Vaterstadt erlebt hatte.
Jn aller Frühe lief der Hirt mit Stab und Horn durch die Gaffen
der Vorstadt, tutete das Vieh aus den Ställen auf die Weide und
trieb es abends wieder heim. Mit Vergnügen lauschte ich ihren
Schilderungen und längst vergangenen Geschichten. Von diesen gefiel
mir am besten die von dem höslichen Nachtwächter Eiselein. Er hielt

*) Heidelberg gegenüber, in dem HauseNr. 2 an der Neuenheimer Landstraße,
damals Neckarhotel, wohnte Scheffel in dem Erdgeschoß rechter Hand vom Ok-
tober l885 bis zum 2. April 1886. An diesem Tage kehrte er nach Karlsruhe
zurück und verschied eine Woche später, am 9. April, in dem Hause, wo seine
Wiege gestanden hatte.
 
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