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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0106

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Napoleonkultus in Baden.

Die vereinte Macht Europas stürzte den Titanen. Die Glorie
des Besiegten strahlte sast noch blendender von der einsamen Jnsel
im fernen Weltmeer über den Erdball, als von dem Kaiserthron. Sein
tragisches Geschick, einzig groß in der Weltgeschichte, erschütterte das
wandelbare Herz des Volks. Als er in die Gruft stieg, leuchtete sein
Bild wie die versinkende Sonne in die hereinbrechende Nacht der poli-
tischen Reaktion. Der tote Cäsar hob sich gewaltig ab von dem
Pygmüengeschlechte, das nach seinem Sturze die Zügel der Welt sührte,
ohne die Stimme der Zeit und das Sehnen ihrer Völker zu begreifen.
Kein Wunder, daß die Geschichte des Kaiserreichs zur ruhmreichen
Legende ward, zur Epopoe, wie die des großen Alexander, ja, auch der
Liberalismus verklärte den glücklichen und klugen Erben der Revo-
lution zu dem weisen und getreuen Hüter ihrer errungenen Schätze,
die blinde Masse sah sogar in dem Menschenverächter einen Märtyrer
im Kampse für die Freiheit wider den Absolutismus, einen Völker-
heiland, den die Tespotie an den Felsen im Meere geschmiedet hätte.
Am üppigsten wucherte die tolle Legende bei den Franzosen, und weil
sie ihren Abgott nicht mehr lebendig erlangen konnten, holten sie
seine Leiche.

Jn Deutschland sangen Heine, „der Tambourmajor der Revo-
lution", und Freiherr von Zedlitz, Metternichs Freund, den Ruhm
des Kaisers um die Wette. Mit den Grenadieren, die aus Rüßland
heimkehrten, jammerte der Eine:

„Daß Frankreich verloren gegangen,

Besiegt und zerschlagen das grstze, Heer, — ^

Und der Kaiser, der Kaiser gefangen."

Der Andere ließ in glühender Begeisterung den toten Cäsar in
den elysäischen Feldern Heerschau halten über die tapferen Scharen,
deren Gebeine die Sonne Aegyptens und der russische Schnee bleichten.

Jch hörte noch 1848 die badischen Soldaten auf dem Marsche
Lieder zum Ruhme Napoleons singen, freilich hatten die braven Burschen
keine Ahnung, wem die Verse galten. Jhr Lobgesang erschallte „dem
Sohne des Ruhmes und der Ehre," aber sie sangen beharrlich, man
mochte sie noch so oft korrigieren: „dem Sohne des Mondes und
der Erde."
 
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