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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0118

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Die alte Landstraße im Rheinthal.

wir übernachtet, waren früh aufgebrochen und einige Stunden land-
aufwärts gegangen. Da kam hinter uns her eine Extrapost gefahren
und holte uns ein. Zwei Reifende saßen im Wagen, beide in mitt-
leren Jahren. Der eine, ein auffallend langer Herr, saß, ins Lesen
vertieft, auf der uns abgewandten Seite und achtete nicht auf die
Gegend, der andre, von kleinerem, gedrungenem Bau, befah sich Land
und Leute. Als dieser uns bemerkte, weilte fein Blick ein wenig auf
mir. Dann wechselte er mit dem Langen einige Worte, befahl dem
Postillon-zu halten und lud meinen Vater freundlich ein, mit mir in
den Wagen einzusteigen und mitzufahren. Die Einladung wurde
dankend angenommen, und bald entfpann sich eine lebhafte politifche
Unterhaltnng zwischen ihm und meinem Vater, die fich um die Juli-
revolution und ihre Folgen drehte. Der freundliche Mann war ein
Schweizer, sein langer Gefahrte ein Engländer; der Zufall hatte sie
zufammengeführt. Der Engländer sprach kein Deutsch, aber der
Schweizer englifch. Bisweilen fragte der Schweizer den Engländer
um feine Ansicht über diefe oder jene politische Frage und erhielt
stets eine knrze, bestimmte Antwort, worauf der Englifhman fofort
wieder zü feinem Buche griff. —- Die beiden Reifenden waren mir
ünßerst merkwürdig, ich hatte vorher zwar von Schweizern und Eng-
ländern gehört, aber keine bis dahin gesehen. — Noch lange nachher
stellte ich mir, so oft von diesen Nationen die Rede war, die Schweizer
als gedrungen und gerne plaudernd vvr, die Engländer als lang und ein-
silbig mit dem Büch in der Hand. — Wir legten ein gutes Stück Weg
mit den beiden Herrn zurück; wo wir uns verabfchiedeten, ist mir
entschwunden.

Nicht nur an unterhaltender Staffage, auch an landschaftlichem
Reize hat die Landstraße verloren, weil fie eine Menge edler
Nußbäume mit ihren stolzen Stämmen und prächtigen Kronen ein-
büßte; das feste Holz der fchönen Büume mußte zu Gewehrfchäften
dienen.

Viele Gasthöfe von großem Rufe, wo die Fuhrleute fowohl
wie die Reifenden gerne einkehrten, sind feither eingegangen. Auch
die berühmte Post zu Müllheim hat ihren Schild eingezogen und
das Sprüchlein gilt nicht mehr:
 
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