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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0130

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Der Franzosenlärm 1840.

die klagende Frage: „was ist des Deutschen Vaterland?" und hinter-
drein Lützows wilde verwegene Jagd. Befriedigt ging man dann
nach Hause. Wir Stndenten gaben uns das Wort, in die Armee
einzutreten, sobald die Franzosen Ernst machten. Glücklicherweise ver-
rauschte der Larm bald, wir konnten ungehindert unseren Studien
nachgehen.

Auch den blödesten Augen war es klar geworden, daß der un-
ruhige Nachbar im Westen noch immer der alte war, bedacht auf
Ranb und Gloire. Der deutsche Staatenbund, wie ihn der Bundes-
tag in Frankfurt vertrat, sicherte namentlich in Süddeutschland die
Grenze nicht. Der nationale Einheitsgedanke, das Verlangen nach
einer starken Reichsgewalt unter Mitwirkung des verfassungsmäßig
vertretenen deutschen Volks, flammte mit großer Stärke wieder empor.
Der Same des dentschen Einheitsgedankens war in den Befreiungs-
kriegen aufgegangen, aber die deutschen Bundesregierungen hatten ihn
nach der Besiegung Frankreichs aus allen Kräften niedergehalten und
als Hochverrat verfolgt. Nach einem kurzen Erwachen in den heißen
Julitagen von 1830, als die Franzosen den Thron der Bourbonen
aufs neue umstießen, versank der dentsche Michel nochmals in Schlummer.
Da erweckte ihn die gewaltige Fanfare von jenseits des Rheins, und
von nun an ist er wach geblieben.

Ein andres Ereignis des gleichen Jahrs erregte weitgehende
patriotische Erwartungen: die Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV.
— Preußen, das Heldenland der Blücher und Scharnhorst, der Reform-
staat der Stein und Hardenberg, schien seine deutsche Aufgabe vergessen
zu haben. Fast gleichgültig überließ es die Besorgung der deutschen
Angelegenheiten dem Reichskanzler Oesterreichs, dem Fürsten Metter-
nich, dem schlimmsten Feinde des deutschen Einheitsgedankens und ver-
fassungsmäßiger Volksrechte. Man erzählte große Dinge von dem
ofsnen Sinne des eben auf den preußischen Thron gelangten Königs sür
alles Schöne und Gute, für Kunst und Wissenschaft, und man verglich
ihn an Geist und Witz mit Friedrich dem Großen. Seine ersten Regenten-
handlungen gewannen ihm das Herz der akademischen Jugend. Gleich
nach dem Antritt seiner Regiernng erließ er eine Amnestie, die Dema-
gogenhetze hörte auf. Die Burschenschäftler verließen die Festungen
 
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