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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0183

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Die Alemannia.

163-

und war nachher so klug wie zuvor. Es ist mit der Potttik ungefähr
wie mit der Heilkunsst man lernt sie nicht aus Büchern. Gute prak-
tische Kurse hat uns Deutschen erst Bismarck erteilt.

Wir ließen es bei diesem Versuche, von Verbindungswegen
politische Belehrung zu holen, ein für allemal bewenden und stellten
es jedem anheim, sie sich zu verschaffen, wie und wo es ihm gutdünke,
aus Geschichtswerken, Flug- und Zeitschriften. Bei der allgemeinen
Gärung in Deutschland gärte es natürlich auch in den Köpfen der
Alemannia, in den einen mehr, den andern weniger. Allgemach gruppier-
ten sich die Mitglieder der Verbindung in zwei Hälften, eine größere
rechte und eine kleinere linke. Der rechte Flügel hielt fest an dem
ursprünglichen Programm: die Alemannia sollte lediglich studentische
Reformverbindnng sein und das Burschenleben in seiner Eigenart,
jedoch von den übeln Brüuchen gereinigt und geläutert, aufrecht er-
halten, die linke dagegen verlangte radikale Grundsätze in Philosophie,
Religion und Politik, mit Bethätigung der politischen Ueberzeugung
schon aus der Hochschule. Noch ehe das Semester zu Ende ging,
kam es zur Trennung, und die viel versprechende Verbindung zerfiel.
Einstweilen aber dachte noch niemand an eine solche Möglichkeit, und
man kneipte eintrüchtig zusammen in der Wirtschaft zum Horn am Neckar,
den hentigen „Vier Jahreszeiten," am unteren Ende der Haspelgasse.

Die Alemannia wählte sich Gold, Blau, Gold zu ihren Farben.
Dadurch wird in Scheffels Gaudeamus ein Gedicht verstündlich, das
er am 29. Juni 1856 unter den Palmen Bordigheras abgefaßt und
mir unmittelbar nachher zugeschickt hat. Krank und stebernd war er
aus den überschwemmten Niederungen des Rhonethals nach der Riviera
gekommen. Zum Sterben elend lag er am Strande, den Blick ge-
richtet aus die tiefblaue Flut des Meeres, da zauberte ihm der Gold-
glanz, der über sie hinschimmerte, die Tage der Alemannia zurück:

„Hier umglänzt mich die alte blaugoldne Pracht,

Die der Jugend Leid mir versüßte."

Verwundert las ich diese fast Heineschen Zeilen. Jm Horn am Neckar
hatten die Freunde niemals der Jugend Leid an Scheffel bemerkt.
Er muß es recht geheim getragen haben.
 
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