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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0246

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Franz Karl Naegele.

lebnisse in seinen Vortrag ein nnd erläuterte ihn durch Demonstrationen,
wobei ihm zahlreiche Präparate aus seiner Sammlnng zu Gebote standen.
Jch erfreue vielleicht manche Leser, wenn ich aus meinem Kollegheft über
Dystokien*) vom Sommer 1842 eine Probe zum besten gebe. Jch ent-
nehme sie einem seiner Vorträge über die Mißstaltungen des Beckens,
die den Geburtsakt behindern. Er handelte von dem Becken, das durch
Knochenerweichung im spätern Leben verengt wird, „die Berliner nennen
es das osteomalaeische," fügte er mit leisem Spotte hinzu. Ein solches
Becken legte er uns vor, es war das erste dieser Art, in dessen Besitz er
als Physikus in Barmen schon 1803 gekommen war, als die Stadt
noch 8em Herzogtnm Berg unter kurpfälzischer Hoheit angehörte. An
ihm beobachtete er zuerst die Verengung des Beckenausgangs, bisher
war ihm nur dessen Erweiterung bekannt gewesen, wie sie bei dem,
durch Rhachitis in der Kindheit verunstalteten Becken vorkommt. Die
dramatischen Umstände, unter denen er sich das Präparat verschaffte,
schilderte er mit folgenden Worten:

„Es stand 1803 in einem öfsentlichen Blatte: ein Chirurgus,
Namens Peter Walker, habe mit einem Rasiermesser den Kaiserschnitt
gemacht, Mutter und Kind tot geschnitten. Ob man in dem Herzog-
tum Berg Schindersknechte als Chirnrgen hätte? Jch wurde von der
Regierung beauftragt, die Sache zu untersuchen. Den Mann kannte
ich als braven Chirurgen. Er war mein Schüler gewesen und nun
sollte ich ihn mit Gerichtsdienern und Soldaten heimsuchen."

„Bei der Untersnchung mußte ich hauptsächlich darauf sehen, ob
der Kaiserschnitt angezeigt war oder nicht. Da gab der redliche Mann
an: er hätte ihn gemacht wegen äußerster Beckenenge, denn er hätte
seinen Finger nicht durch den Beckenausgang bringen können. Jch hustete,
gab Nasenbluten vor, ging hinaus, ließ ihn rufen und stellte ihm vor:
der Beckeneingang sei so eng gewesen, denn nach dem damaligen
Stande des Wissens war der Ausgang immer weit, sogar weiter als
gewöhnlich, wie es auch bei dem rhachitischen Becken wirklich die
Regel ist. Allein er ließ sich nicht irre machen und beteuerte bei
Gott und allen Heiligen, er könne keine andere Aussage machen."

„Nun gerieten wir, ich im Bewußtsein der Wissenschaft gegen-

*) Schwere Geburten.
 
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