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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0286

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266 Der ärztliche Lizenzschein und das Doktordiplom.

medizinische Studium war von allen das kostspieligste, das Staats-
examen verursachte einen weiteren Aufwand durch den mehrwöchent-
lichen Aufenthalt in Karlsruhe und die Erlegung der Prüfungstaxe; sie
betrug 114 fl. 30 Kr. Auch mußte nach der Prüfung der junge Arzt
sich zahlreiche, tenre Jnstrnmente anfchaffen, und viele gingen zu ihrer
weiteren Ausbildung noch an größere Hospitäler.

Auch ich unterließ es zu promovieren, obwohl mein väterlicher
Frennd Naegele mir dringend dazu geraten hatte. Das Heidelberger
Diplom sei in den fernsten Ländern angefehen, wo nicht einmal der
Name des Großherzogtums Baden bekannt sei; ich könne nicht voraus-
fehen, welches Los mir die Zukunft bringe. Leider mußte ich ihm
erklären, daß ich meinem Vater nach den großen Opfern, die er mir
bereits gebracht hätte, keine weiteren zumnten dürfe. Er kam von
da an nicht mehr anf die Sache zu fprechen. Nachdem ich aber die
Preisfrage der Fakultät mit Auszeichnung gelöst hatte, stellte er, ohne
mir vorher ein Wort davon zu fagen, in einer ihrer Sitzungen den
Antrag, sie möge mich auf Grund meiner Abhandlung gratis ^um
Examen xro ^raän zulasfen. Gegen Erwarten drang er nicht durch.
Eine Minderheit war dagegen; darunter befand sich Henle, der feine
radikale Seite herauskehrte und das Doktordiplom für einen alten
Zopf erklärte, den man den jungen Lenten nicht ohne Not anheften folle.

Diese, nahe an Verachtung streifende, Geringschätzung der Pro-
motion hatte Naegele arg verdrossen. Er sah in dem Heidelberger
Doktortitel eine besondere Auszeichnung. Die Fakultät hatte bei den
Promotionen auf gute Disfertationen strenge geachtet, und darin be-
ruhte znm großen Teil das Anfehen, worin die Graduierten der
Heidelberger Fakultät standen. Namentlich hielt Naegele feine Schüler
zn guten Disfertationen an und viele dieser Abhandlungen werden
noch heute citiert und geschätzt. Tief gekränkt verriet mir mein
Gönner den Vorgang, den er hätte verschweigen sollen. — Henle mag
für feine Ablehnung gute Gründe gehabt haben, mit dem Grund aber,
den er vorbrachte, kann es ihm nicht ernst gewefen fein, denn er hat noch
40 Jahre lang in Heidelberg und Göttingen Doktorzöpfe angeheftet.
 
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