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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0299

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Eine Lektion bei der alten Frau Doktorin.

279

Gedichte Anlaß gab. An dem Tage dieses Ereignisses erhielt Bronner
Besnch von seiner Schwester. Sie kam in Begleitung derselben heiteren
Gesellschaft, die im verwichenen Herbst bei ihr in Wiesloch zu Gaste
gewesen war. Die jnngen Damen teilten mittags unser Mahl bei der
Doktorin; kaum war es zu Ende, so erscholl Feuerlärm. Wir hörten,
es brenne im Hutzelwald, und stiegen sofort auf den Speicher des
Hauses, um nach der Gegend des Waldbrandes auszuschauen; in
der That sahen wir den Ranch über den Gaisberg aufsteigen. Das
geführliche Element trieb nunmehr sein bedenkliches Spiel an zwei
Orten zugleich, draußen im Wald und in der Stadt auf dem Speicher
der Doktorin.

Eines Tages lieferte uns ein medizinisches Ereignis im Hause
Stoff zur Unterhaltung. An der Köchin war ein Wunder geschehen.
Sie hatte die schönsten Jahre, doch nicht die Gefühle der Jugend,
hinter fich und litt an Hyfterie. Von Zeit zu Zeit verlor sie plötz-
lich das Vermögen, laut zu sprechen, und konnte sich nur mit
flüsternder Stimme verständlich machen. Weder die Aerzte der Stadt
noch die der Kliniken hatten ihr zu helfen vermocht, aber ein altes
Waschweib riet ihr ein wirksames Mittel. Wurde fie stimmlos, fo
gebrauchte sie seitdem Sympathie und die Stimme kam wieder. Bronner
und ich waren neugierig, hinter ihr Geheimnis zu kommen, gaben
ihr schöne Worte und erreichten unser Ziel. — Eines Morgens kam
sie zu uns aus der Küche gelanfen, hatte ihre Stimme verloren und
deutete auf die Kehle, die ihr eine unsichtbare Hand gewaltsam zu-
schnürte. Kaum hörbar flüsterte sie uns zu, wir sollten jetzt Zeugen
des Wunders sein. Hierauf ging sie drei Schritte geradeaus, hielt einen
Augenblick inne, wisperte unverständliche Worte, ging dann drei Schritte,
ohne sich umzuwenden, rückwärts, blieb wieder stehen, blickte hinter sich,
wisperte aufs neue, spie dreimal aus, und — begrüßte uns glückselig
mit glockenheller Stimme: „gelobt sei Jesus Christus! Jhr Herrn, ich
bin geheilt!" — Wir freuten uns mit ihr, fragten, was dies alles zu
bedeuten hätte, und erhielten genaue Auskunft. Nach den ersten drei
Schritten hatte sie die drei höchsten Namen angerufen, nach den drei
letzten aber dem Teufel, der ihr die Kehle von hinten würgte, in
das Gesicht gespieen und geflüstert: „Dies ist für dich, o Satan!
 
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