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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0321

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Vomierkuren.

301

Der Leser, der mit der Geschichte der Medizin nicht vertraut
ist, wird nun die Frage aufwerfen: wie konnte es kommen, daß ein
der Natnr entlehntes, anscheinend so rationelles und durch tausend-
faltige Erfahrnng erprobtes Heilverfahren heute nur noch ausnahms-
weise benützt wird? Daß es Gefahren in sich schließt, konnte ja auch
den alten Aerzten nicht verborgen geblieben sein, und in der That
verboten sie seinen Gebrauch bei vielen Fehlern und Krankheiten auf
das strengste, beispielsweise bei Herzfehlern, schwachem Herzen,
brllchigen Schlagadern, Leibschäden, Entzündung der Magenschleimhaut,
der Därme und des Bauchfells, bei ansgebildeter Bleichsucht und vielen
anderen solchen „Kontraindikationen". Ungeachtet dieser Einschränkung
blieb noch ein weites Feld übrig, wo die Vomierkur zulässig und nütz-
lich erschien; erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ist ihr Ge-
branch mehr und mehr eingeengt worden und giebt man die Brechmittel
fast nur noch, um in dringenden Fällen giftige Substanzen aus dem
Magen zu entfernen, sucht sie sogar bei verdorbenem Magen, wo sie
einst so große Triumphe feierten, durch mildere Verfahrungsweisen
zu ersetzen.

Das Schicksal dieser Kurmethode ist eines der lehrreichsten Bei-
spiele, um zu zeigen, welchen ungeheuern Einfluß die Entdeckungen
der pathologischen Anatomie auf die Therapie gehabt haben und haben
mußten. Die große Einschränkung des Gebrauchs der Vomitive war
die Folge einer der wichtigsten Bereicherungen unsrer anatomischen
Kenntnisse, die wir zwei Forschern ersten Rangs auf diesem Gebiete
verdanken: Crnveilhier in Paris und Rokitansky in Wien. Sie fällt
in das Ende des vierten Jahrzehnts, kurz vor dem Beginn meiner
medizinischen Studien. Fast gleichzeitig haben die beiden berühmten
Anatomen, Cruveilhier 1838, .Rokitansky 1839, die ärztliche Welt mit
dem runden Magengeschwür, seiner Häusigkeit und großen praktischen
Bedeutung, bekannt gemacht. Jch hebe als besonders wichtig aus der
Lehre von diesem eigentümlichen Geschwüre, das außer im Magen,
auch noch im angrenzenden Zwölffingerdarm angetroffen wird, nur
Einiges hervor, was hier Erwähnung verdient.

Vor dem Eintritt der Geschlechtsreife wird das Geschwür äußerst
selten gefunden, von da an häufig, seltener bildet es sich im Greisen-
 
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