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Kussmaul, Adolf
Jugenderinnerungen eines alten Arztes — Stuttgart, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.15258#0335

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Die Fahrt nach München.

315

Freund uuterhielt sich mit der Nichte über die Seheuswürdigkeiten,
die uns in Müncheu erwarteten. Sie bemerkte ihm, daß sie neugierig
sei, den Gottesdienst in der griechischen Kapelle dort kennen zu lernen,
worauf er in aller Unschuld erwiderte: er meine gehört zu haben,
daß der griechische Kultus noch unterhaltender sei, als der römisch-
katholische. Es lag ihm nichts ferner, als die Absicht, Andersglüubige
zu kränken, aber der Onkel hatte zugehört, fuhr empor und rief ihm
über den Tisch zu: „Herr Doktor, die Kirche ist kein Theater! Jhre
Aeußerung ist nnr durch Jhre Jugend zn entschuldigen." — Mein
Freund schwieg mit richtigem Takt und die Nichte brachte klug und
geschickt das Gespräch auf ein andres, unverfängliches Thema. — Nach
Tische besprachen wir unter uns die Szene. Der Onkel war offenbar ein
kirchengläubiger und glaubenseifriger Mann, aber er hatte nicht ge-
lernt, seine Heftigkeit zu zügeln; wir beschlossen, des Zwischenfalls
nicht zu achten, aber dessen eingedenk auf nnsrer Hut zu sein.
Wir verkehrten, als wäre nichts vorgefallen, mit Onkel und Nichte
weiter, scherzten und lachten mit dieser, der Onkel lächelte dazu und
gemahnte uns dabei an einen sauern Obstkuchen mit aufgestreutem
Zucker.

Jn den „drei Mohren" zu Augsbnrg legte man uns das merk-
würdige Fremdenbnch vor. Der berühmteste Gast, der in dem Hause
Quartier genommen, war Napoleon nach den großen Tagen von Ulm.
Jn dem Buche stand ausführlich, wie der siegreiche Korse den Magistrat
der freien Reichsstadt beim Einzug begrüßt hatte. Seine Worte lauteten,
ich glaube mich ihrer zu erinnern, wie folgt: „Jhr habt ein heilloses
Pslaster, es ist Zeit, daß ich Euch einen Monarchen gebe, der für
ein besseres sorge!" — Er hielt Wort, der Preßburger Friede ver-
nichtete die alte Reichssreiheit der schwäbischen Stadt und brachte sie
an Baiern.

Nachdem wir Augsburg am Morgen des folgenden Tags be-
sichtigt hatten, fuhren wir nachmittags nach München. Der Onkel
rühmte den „Oberpollinger" als gut und billig. Wir stiegen dort
ab. Ueber der Thüre unsres Schlafzimmers glänzten in weißer Kreide
die Buchstaben der heiligen drei Könige: ß 0. FI. U. ß An dem Drei-
königstage kam alljährlich der Kapuziner mit Wedel und Weihwasser,
 
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